E-Book, Deutsch, 234 Seiten
Reihe: zur Einführung
E-Book, Deutsch, 234 Seiten
Reihe: zur Einführung
ISBN: 978-3-96060-099-2
Verlag: Junius Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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2. Die Digitalisierung des Wissens
Medien sind niemals neutral. Sie decken nicht einfach ein verborgenes Wissen auf oder machen dieses sichtbar. Vielmehr hat ein Medium immer Anteil daran, Objekte des Wissens herzustellen. Dabei besteht ein komplexer Zusammenhang zwischen den Techniken der Wissensherstellung und den ästhetischen Eigenschaften von Medien sowie den durch sie erzeugten und verwalteten Wissensbeständen. Jedes Wissen verfügt über eine mediale Spezifik (Kap. 2.1). Da es vor allem audiovisuelle Medien sind, die Wissen darstellen, speichern oder übertragen, wird Wissen vor allem durch die spezifische Medialität dieser Medien geprägt. Folgt man der Annahme von der medialen Spezifik des Wissens, so führen neue Medientechnologien zwangsläufig auch zu neuen Möglichkeiten des Wissens und der Erkenntnis. Mit den veränderten Organisations- und Produktionsweisen von Wissensbeständen gehen dabei mitunter große Erwartungen einher. Wie sich jedoch zeigen wird, stehen auch digitale Prozesse der Herstellung und Repräsentation von Wissen in enger Verbindung mit tradierten Darstellungslogiken (Kap. 2.2). Dies zeigt sich insbesondere an virtuellen Erkenntnistechnologien wie der Simulation. Zwar werden mithilfe von Computerexperimenten neue Wege der Erkenntnis eröffnet. Im Kern fußen Simulationen jedoch auf den im ersten Kapitel dargestellten Eigenschaften des Algorithmus und stoßen somit auch an die gleichen Grenzen. Das hält die Visionäre dieser Technologien indes nicht davon ab, die Potenziale des digitalen Wissens mit großer Bedeutung aufzuladen. Solche Szenarien kulminieren in der Vision eines neuen digitalen Denkens – einer Schnittstelle zwischen dem Computer und dem menschlichen Gehirn (Kap. 2.4). 2.1 Zur Medialität des Wissens
Der Begriff Medium wird alltagssprachlich häufig im Sinne einer vermittelnden Instanz verwendet. Doch Medien sind als Übertragungsmedien keineswegs neutrale Vermittler von Botschaften oder als Speichermedien Akkumulatoren von Wissen. Medien selbst erzeugen Bedeutungen. Wissen, Wahrnehmungen und Bedeutungen werden geprägt durch das Medium, in dem sie repräsentiert und gemacht werden. Ein Medium – genauer: der Prozess der Mediatierung – ist deshalb stets produktiv, erschafft ein Etwas, das es vor der Mediatisierung nicht gegeben hat. Ein Medium ist zudem kein kontextloses Objekt, sondern tritt seinerseits stets eingebettet in einen sozialen Prozess, eine Interaktion in Erscheinung. Medien machen Informationen nicht einfach als bloße Werkzeuge sicht- oder hörbar, sondern sind stets an ihrer Konstruktion beteiligt. Das Medium Sprache beispielsweise drückt keine Bedeutungen aus, die ihr vorgängig wären oder die unabhängig von ihrer Konstruktion in Zeichen überhaupt Bedeutung annehmen können (Foucault 1997). Vielmehr realisieren sich diese erst in ihrer sprachlichen Repräsentation innerhalb des Zeichensystems. Wissen und Wahrnehmung sind also niemals frei von einer spezifischen Medialität und verändern sich mit dem Medium, in dem sie entstehen. Dies sind keineswegs triviale Feststellungen. Denkt man beispielsweise an die uns selbstverständlichen Techniken der Wissensspeicherung, -verarbeitung und -weitergabe, so werden diese Funktionen in erster Linie von audiovisuellen Medien geleistet, die ein codierbares Wissen erfassen und (re-)produzieren können. Während Schrift, Bilder und Musik sich in symbolische Notationen übersetzen lassen, gilt dies für Wissen und Bedeutungen, die sich als Geruch, Geräusch oder Atmosphäre manifestieren, nicht in ähnlicher Weise. Unsere Medien priorisieren, mit anderen Worten, eine audiovisuelle Medialität, was fraglos Konsequenzen für die in ihnen herstellbaren Bedeutungen hat. Neben dem erkenntnistheoretischen Zusammenhang von Medialität und Wissen, dem sich dieses Teilkapitel gleich ausführlicher zuwendet, weist dieser Komplex zudem eine bedeutende institutionelle Dimension auf. Denn auch bei der Verwaltung und Distribution von Wissen kommt Medien eine wichtige Rolle zu, indem diese entscheidend prägen, was wir als unsere gesellschaftliche Wirklichkeit erfahren: »Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien«, lautet ein bekanntes Diktum Niklas Luhmanns (2004a, 9). Soziologisch lässt sich Wissen als »Prinzip der symbolischen Ordnung einer jeden Gesellschaft« begreifen (Abels 2009, 13; Hervorhebung im Original), als eine symbolische Struktur von Alltagswissen, Deutungsschemata oder sozialen Regeln, die eine Voraussetzung bilden für die Herstellung spezifischer kultureller und sozialer Ordnungen. Die »gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit« (Berger/Luckmann 1969) erfolgt durch die ständige kollektive Erzeugung und Artikulation dieses Wissens mittels Handlungen, die diese symbolische Struktur reproduzieren. Medien – und hier an erster Stelle dem Elementarmedium Sprache – kommt bei der Produktion, Reproduktion und Verbreitung des Wissens als einer Sinnstruktur eine ganz besondere Bedeutung zu. Durch sie wird das symbolische Gerüst überindividuell geteilt, durch sie werden Wirklichkeit und Wahrnehmung präformiert. Bereits Walter Benjamin stellt im Lichte von Technisierung und Industrialisierung in seinem bekannten Kunstwerk-Aufsatz zum Zusammenhang von medialer Ästhetik und Wahrnehmung fest: »Innerhalb großer geschichtlicher Zusammenhänge verändert sich mit der gesamten Daseinsweise der menschlichen Kollektiva auch die Art und Weise ihrer Sinneswahrnehmung. Die Art und Weise, in der die menschliche Sinneswahrnehmung sich organisiert – das Medium, in dem sie erfolgt – ist nicht nur natürlich[,] sondern auch geschichtlich bedingt.« (Benjamin 2003 [1936], 14; Hervorhebung im Original) Benjamin beschreibt die »technische Reproduzierbarkeit«, insbesondere im Hinblick auf die Medientechniken Fotografie und Film, als Determinante veränderter Produktionsbedingungen, einer anderen Medienästhetik, Rezeption und Wahrnehmung, die dem ehemals einzigartigen Kunstwerk seine Aura nehmen. Allgemeiner ausgedrückt und für jede neue Medientechnik lässt sich annehmen, dass die historische Spezifik der Medialität ihrer Inhalte und damit des Wissens die menschliche Sinneswahrnehmung strukturiert. Mehr noch: Da alle »Formen der Kommunikation […] auf der Produktion und Konsumtion von Zeichen« beruhen, kann zwischen einer Wirklichkeit und ihrer symbolischen Repräsentation nicht unterschieden werden (Castells 2004, 425). Die erfahrbare Wirklichkeit ist in diesem Sinne immer virtuell, eine unmittelbare reale Erfahrung gibt es nicht. Das »System realer Virtualität« ist »ein System, in dem die Wirklichkeit selbst (d.h. die materielle/symbolische Existenz der Menschen) vollständig eingefangen ist, völlig eintaucht in eine Umgebung virtueller Bilder« (Castells 2004, 426). Die Medialität des Mediums und seine Institutionalisierung in einer mit Labeln wie »Netzwerk« (Castells 2004) oder »Information« (Webster 1995) versehenen Gesellschaft prägen Wissen als symbolische Sinnstruktur und damit auch das, was wir als Wirklichkeit erfahren oder wahrnehmen können. Es liegt also nahe, in den Anwendungen der digitalen Technologien neue Ausprägungen einer »CyberMedienWirklichkeit« (Palm 2004) und veränderte »Wirklichkeitsvorstellungen« zu vermuten, die insbesondere mit der allgemeinen Durchsetzung des Computers einhergehen (Krämer 1998; ausführlich hierzu Kap. 2.2). Wie lässt sich also die Rolle der Medien in der Konstruktion von Wissen und Wahrnehmung bestimmen? Der Beantwortung dieser Frage können wir uns unter Rekurs auf zwei sehr unterschiedliche Positionen annähern. Die erste Position (1) macht die Medientechnik als entscheidenden Faktor aus. Ihr jeweiliger Entwicklungsstand soll darüber bestimmen, wie Medien die gesellschaftliche Organisation verändern und welche kulturellen Strukturen sie hervorbringen. Eine zweite Position (2) hingegen fasst Technik als in dieser Hinsicht völlig irrelevant auf. Medien treten in dieser Sichtweise als bloße »Informationsträger« in Erscheinung. es die Inhalte selbst, die medienunabhängig bestimmte symbolische Strukturen durchsetzen. Beide Ansätze sind in ihrer argumentativen Klarheit verführerisch. Wie sich zeigen wird (3), sind beide defizitär in ihrer Ignoranz gegenüber der Medialität als eigener Qualität bei der Konstruktion von Bedeutung. Zu (1): Gehen wir mit der ersten Position zunächst davon aus, dass die Medientechnik entscheidend ist und sich die medialen Inhalte, Bedeutungen und die sozialen Konsequenzen neuer Medientechnologien durch eine Betrachtung der Technik verstehen lassen. Es handelt sich dabei um ein sehr populäres Argument, das insbesondere im Zusammenhang mit gegenwärtigen digitalen Medientechnologien geäußert wird. Historisch betrachtet überzeugt dieses Argument vor allem durch die Kenntlichmachung der klaren Zäsuren, die neue Medientechnologien für kulturelle und gesellschaftliche Phänomene jeweils bedeuten. Am deutlichsten wird dies etwa beim häufig...