Badrnejad-Hahn | Die jüdische Gemeinde Roms: Wiederaufbau oder Neubeginn? | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 143, 435 Seiten

Reihe: Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom

Badrnejad-Hahn Die jüdische Gemeinde Roms: Wiederaufbau oder Neubeginn?

Zwischen Zionismus, Erinnerungskultur und italienischer Republik

E-Book, Deutsch, Band 143, 435 Seiten

Reihe: Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom

ISBN: 978-3-11-077143-5
Verlag: De Gruyter
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Mit der Befreiung der Stadt stand die Jüdische Gemeinde von Rom 1944 vor gewaltigen Herausforderungen. Sollte sie nach der Verfolgung durch den italienischen Faschismus und den Deportationen unter deutscher Besatzung vorrangig an die Situation vor der Einführung der Rassengesetzgebung im Jahr 1938 anzuknüpfen? Oder führte die Erfahrung der Shoah zu einem radikalen Bruch mit der Vergangenheit und damit zu einem originären Neuanfang?

Wie stark der Pol der Kontinuität überwiegt, zeigt sich entlang dreier zentraler Dimensionen jüdischer Identität: der Haltung der Gemeinde zum Zionismus und zum entstehenden Staat Israel; dem Verhältnis zur italienischen Nation und ihren wirkmächtigen nationalen Mythen; und der sich herausbildenden Erinnerungskultur angesichts der Deportierten.

Im Fokus dieser Studie steht die Binnensicht der Hauptstadtgemeinde, wie sie in den Zeugnissen ihrer Persönlichkeiten und Gremien zum Ausdruck kommt. Möglich wurde dieser Einblick durch die umfangreiche Auswertung von bisher unveröffentlichtem Quellenmaterial. Damit leistet diese Studie einen Beitrag zum Verständnis der ältesten und traditionsreichsten jüdischen Gemeinde Italiens in einer Schlüsselphase der jüdisch-europäischen Geschichte nach der Shoah.

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Zielgruppe


Scholars in the fields of history, Jewish studies, sociologists, / Historiker/-innen, Forschende aus den Jewish Studies, Soziolog/-i


Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


1 Die jüdische Gemeinde Roms: Wiederaufbau oder Neubeginn?
1.1 Einleitung
Die jüdische Gemeinde von Rom ist die älteste und traditionsreichste jüdische Gemeinde Italiens. Ihre Binnensicht auf eine Schlüsselphase der jüngsten Geschichte steht im Fokus dieser Studie, als Quellen dienen die Zeugnisse ihrer Führungsgruppen, Gremien und Funktionsträger. Damit erschließt die Studie einen wichtigen, bislang weitgehend unzugänglichen Quellenfundus, insbesondere weil sie auch die Beziehungen zum Dachverband der jüdischen Gemeinden des Landes untersucht. Ziel ist es, am Gegenstand der jüdischen Gemeinde von Rom drei zentrale Dimensionen jüdischer Identität darzustellen: Das Verhältnis zum Zionismus und dem entstehenden Staat Israel, das Verhältnis zur italienischen Nation und ihren nationalen Mythen sowie der Komplex des Gedenkens und der Erinnerungskultur. Im Zentrum steht die Frage: Versuchte die jüdische Gemeinde Roms vorrangig an die Situation vor der Einführung der italienischen Rassengesetzgebung im Jahr 1938 anzuknüpfen und damit eher eine Rückkehr zum status quo ante anzustreben? Oder führten die Erfahrungen der Shoah zu einem radikalen Bruch mit der Vergangenheit und damit zu einem originären Neuanfang? Am Beginn dieser Forschung stand die Erwartung, dass die jüdische Gemeinde Roms in der Nachkriegszeit ein eher gebrochenes Verhältnis zum italienischen Staat und seinen Bürgern hatte. Natürlich wäre eine Parallele zu den sogenannten deutschen Abwicklungsgemeinden nach Kriegsende, deren Existenz zunächst ausschließlich der Vorbereitung der Emigration dienen sollte, deutlich überzogen. Aber am Anfang dieser Studie stand doch die Vermutung, dass die italienischen Juden ihr Verhältnis zu ihrem Land und ihrer Stadt grundlegend neu bestimmten. Warum die römische Gemeinde? Es ist zunächst weniger die Beispielhaftigkeit der jüdischen Gemeinde Roms als vielmehr ihre herausgehobene Stellung, die berechtigt, sie in den Mittelpunkt einer solchen Analyse zu stellen. Natürlich sind zahlreiche Parallelen zu anderen italienischen jüdischen Gemeinden zu finden. Doch gerade die besondere Relevanz der römischen Gemeinde durch ihre einzigartige inneritalienische Bedeutung macht sie als Forschungsobjekt besonders relevant. Rom als politisches Zentrum des im Umbruch befindlichen italienischen Staates, der Sitz der jüdischen Gemeinde in unmittelbarer Nähe zum Vatikan, die dramatische deutsche Besetzung der italienischen Hauptstadt mit den verheerenden Deportationen und schließlich die brisante Auseinandersetzung um den zum Katholizismus konvertierten Oberrabbiner Zolli zeigt: Rom war das Zentrum der politischen Auseinandersetzung, und seine Gemeinde befand sich hier an exponierter Stelle. Hinzu kommt, dass direkt benachbart zur römischen Gemeinde auch der Dachverband der jüdischen Gemeinden Italiens – die Unione delle Comunità Israelitiche Italiane (UCEI, im Folgenden: „Unione“) – seinen Sitz hatte. Im Folgenden wird, sofern nicht anders angegeben, das generische Maskulinum gebraucht. Das gilt auch für andere Gruppenbezeichnungen wie Bürger, Italiener, Juden, Römer, Schüler etc. Jede Positionierung der jüdischen Gemeinde von Rom war mit der politischen Großwetterlage in der Hauptstadt verknüpft: Rom war erst Zielpunkt, dann Zentrum der faschistischen Bewegung gewesen. Dennoch sahen viele nichtjüdische wie jüdische Römer ihre Stadt als geradezu ‚unberührbar‘ an, sodass die deutsche Besatzung zunächst eine Schockstarre bei den römischen Juden auslöste. Das hatte verheerende Konsequenzen für die jüdische Bevölkerung und prägte die römische jüdische Gemeinde entscheidend. Jüdische Gemeinden sind in ihrer Funktion nicht mit einer christlichen Pfarrgemeinde vergleichbar. Vielmehr vertreten sie – zumindest außerhalb Israels – immer auch dezidiert politisch die jüdische Bevölkerungsgruppe gegenüber der Mehrheitsgesellschaft und üben eine stark ausgeprägte soziale Funktion sowie eine Bildungsfunktion aus. Gerade die politische Vertretung ihrer Mitglieder auf nationaler Ebene gilt für Hauptstadtgemeinden in weitaus höherem Maße als für Gemeinden in den Provinzen: Das trifft auch und besonders für Rom zu. Die römischen Juden waren die ersten, die 1938 vom faschistischen Judenzensus erfasst wurden und die Auswirkungen der faschistischen Rassengesetze zu spüren bekamen. Sie mussten sich daher in besonderem Maße zum italienischen Staat wie auch zum Vatikan positionieren. Von Anbeginn an, bereits als Rom noch unter alliierter Besatzung stand, beteiligten sie sich am Ringen um den Aufbau eines demokratischen Italiens. Diese Verortung der jüdischen Gemeinde Roms im Zentrum der politischen Entwicklung Italiens ist ein zentrales Moment für die Wahl des Untersuchungsgegenstandes gewesen. Der chronologische Rahmen dieser Arbeit beginnt mit der Befreiung der Stadt Rom durch die Alliierten am 4. Juni 1944. Dabei handelt es sich um den Zeitpunkt, an dem für die Hauptstadt das Kriegsende einsetzte; ein Prozess, der sich für Gesamtitalien noch über einen längeren Zeitraum erstrecken sollte. Schwieriger festzulegen war das Ende des Untersuchungszeitraumes. Nach Sichtung der Sekundärliteratur bot sich ursprünglich das Jahr 1956 als sinnvolle Zäsur an. Dafür gab es zunächst zwei Gründe, einen innenpolitischen und einen außenpolitischen. Zum einen fand 1956 der V. Kongress der italienischen jüdischen Gemeinden statt, aus dem eine neue Leitung des Judentums auf nationaler Ebene hervorging, die einen Generationswechsel innerhalb der Führungsschicht ankündigte. Zunehmend bestand das Führungspersonal nicht mehr aus Menschen, die ihre wesentliche Prägung noch unter dem Faschismus erfahren hatten. Außenpolitisch spielte für die angenommene Zäsur die sich 1956 zuspitzende Suezkrise eine Rolle. Diese hatte für die italienischen Juden auch inneritalienische Konsequenzen, da aus ihr eine zunehmende Zerrüttung des Verhältnisses zu den Parteien der italienischen Linken resultierte.1 Dieser Zeitpunkt ließ sich nach eingehender Analyse des Quellenmaterials nicht halten. Denn im Laufe der Recherchen stellte sich heraus, dass das Jahr 1956 für die Gemeinde Roms keinen solch zentralen Einschnitt darstellt und eine Erweiterung bis 1960 sinnvoll erschien. Das Jahr 1960 sei dabei weniger als klar umrissener Zeitpunkt verstanden, sondern eher als Ausläufer eines weiter zu fassenden Bogens. In jenem Jahr begannen sich allmählich Auswirkungen des einsetzenden Wirtschaftswunders, des boom economico, in der Hauptstadt zu zeigen. Die im Spätsommer des Jahres stattfindenden Olympischen Spiele brachten einen frischen Impuls von außen in die Stadt. Gleichzeitig erschütterte Anfang 1960 eine erhebliche, europaweite Welle des Antisemitismus die römische Gemeinde und bildete ein Gegengewicht zu diesen hoffnungsfrohen Zeichen. Auch der römischjüdische Historiker Mario Toscano bezeichnet das Jahrzehnt von 1956 bis 1966 als die „die Nachkriegszeit für das italienische Judentum abschließende Phase“.2 Es erscheint hilfreich, einen Schritt zurückzutreten und neben der wissenschaftlichen auch die tieferliegende, gewissermaßen intuitive Motivation für die gewählte Thematik zu beleuchten. Als deutsche Historikerin kann man sich der jüngeren deutschjüdischen Geschichte als Referenzrahmen nur schwer entziehen, auch wenn diese Art von unwillkürlichen Vergleichen mit Vorsicht zu genießen ist. Die tatsächlichen Parallelen in der deutschjüdischen und in der italienischjüdischen Geschichte, auf die in der vorliegenden Arbeit zum Teil Bezug genommen wird, dürfen keinesfalls missverstanden werden als Gleichsetzung und damit Relativierung der Einzigartigkeit des Falls Deutschland. Der italienische Faschismus hat keinen auf die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung abzielenden Holocaust zu verantworten. Dies ist uneingeschränkt anzuerkennen; zur Frage, wie sich der italienische Faschismus bei einem längeren Verlauf des Krieges im Hinblick auf seine antisemitische Praxis weiter positioniert hätte, könnten allenfalls mehr oder weniger überzeugende Wahrscheinlichkeiten konstruiert werden. Trotz dieses wesentlichen qualitativen Unterschieds zwischen Deutschland und Italien war auch Italien ein Land der Täter. Der italienische Faschismus hatte eine weitgehende und eigenständige Rassengesetzgebung eingeführt und die Verfolgung und Entrechtung der in Italien lebenden Juden umgesetzt. Spätestens seit der Einführung der Rassengesetzgebung 1938 wurden Juden in Italien zunehmend stärker ins gesellschaftliche Abseits gedrängt und ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage beraubt. Der italienische Staat hat durch seine antisemitische Praxis und nicht zuletzt durch die systematische Erfassung der Juden erst die Voraussetzung geschaffen für das verheerende Wirken der Deutschen, die aufgrund dieser ‚Vorarbeiten‘ die Deportationen in kürzester Zeit durchführen konnten. Der Anspruch, ein möglichst umfassendes Bild der Gemeinde und ihrer Konfliktlinien zu zeichnen, ist durch ein weitverbreitetes Quellenproblem nur mit Einschränkungen einzulösen: Auch nach umfangreichen Quellenrecherchen stellt es eine besondere Schwierigkeit dar, dass zur ‚Basis‘ der Gemeinde nur eine äußerst dürftige Quellengrundlage vorhanden ist. Die weitaus meisten Mitglieder der jüdischen Gemeinde Roms entstammten unteren sozialen Schichten, während sich die jüdischen Funktionsträger, die...


Hahle Badrnejad-Hahn, Mainz.

Hahle Badrnejad-Hahn, Mainz, Germany.


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