Aschheim | Zwischen Kultur und Katastrophe | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 266 Seiten

Aschheim Zwischen Kultur und Katastrophe

Konfrontation, Krise und Kreativität als deutsch-jüdische Erfahrung

E-Book, Deutsch, 266 Seiten

ISBN: 978-3-86393-658-7
Verlag: CEP Europäische Verlagsanstalt
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)



Dieser Band versammelt die wichtigsten ideen- und kulturhistorischen Studien des Historikers Steven E. Aschheim. Sie reichen von den Erfahrungen in den ostjüdischen Schtetl über den Zionismus als Befreiungsbewegung, die ikonischen jüdischen Intellektuellen (Adorno/Horkheimer, Benjamin, Strauss u. a.) bis zum Umgang mit der Shoa: Assimilation, Selbstbehauptung und Ausgrenzung prägten die deutsch-jüdische Erfahrung zwischen kulturellem Glanz und dem Abgrund der Katastrophe. In seinen fein gearbeiteten Essays vermag Aschheim immer wieder auch die Bezüge zur Gegenwart herzustellen - zur Präsenz des Antisemitismus und zur Relevanz deutsch-jüdischer Geistestraditionen. Im Rückblick auf sein umfangreiches Werk als Historiker wird deutlich, dass Aschheim immer auch der Fragilität jüdischen Lebens nachspürt, dessen Bedrohung nach dem 7. Oktober 2023 eine ganz neue Dimension erreicht hat. Der Ton moralischer Empörung ist ihm jedoch fremd. Stattdessen möchte Steven E. Aschheim verstehen, um im Sinne historischer Aufklärung die Erfahrungsräume und Erwartungshorizonte in den deutsch-jüdischen Konfrontationen und kreativen Symbiosen kenntlich zu machen.

Steven E. Aschheim, geb. 1942, Historiker und emeritierter Professor der Hebräischen Universität Jerusalem. Forschungen auf den Gebieten der Intellektuellengeschichte sowie der modernen deutschen und jüdischen Geschichte. Er war Inhaber zahlreicher Gastprofessuren an renommierten amerikanischen und europäischen Universitäten. 2023 erschien in der Europäischen Verlagsanstalt sein Buch 'Scholem, Arendt, Klemperer. Deutsch-jüdische Identität in Krisenzeiten'.
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Einleitung
Der vorliegende Band bietet eine mehr oder weniger repräsentative Auswahl meiner Arbeiten aus dem Zeitraum zwischen den 1980er Jahren und dem zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts. In vieler Hinsicht spiegeln diese Aufsätze – wie nicht selten in der Zeitgeschichtsschreibung – biographische Umstände, Interesse und Probleme wider, die mein Leben geprägt haben. Wie das Nachwort, Von subtilen kritischen Prägungen. Erinnerungen an eine deutsch-jüdische Kindheit in Südafrika, zu zeigen versucht, war ich mir von frühester Kindheit an bewusst, dass meine Eltern Mitte der 1930er Jahre Nazideutschland als deutsch-jüdische Flüchtlinge verlassen hatten und ihre Geschichten – wenngleich sie sich nie als Überlebende darstellten und wohl auch nie so empfanden – von jener Katastrophe umwoben waren, die später als Shoah bekannt wurde. Seither haben mich der Charakter, die Unbegreiflichkeit und schließlich auch die Instrumentalisierungsversuche dieser Katastrophe umgetrieben. Auf die eine oder andere Weise widmen sich eigentlich alle Kapitel dieses Buchs den vielfältigen Fragen, die dadurch ebenso kontinuierlich wie kontrovers aufgeworfen werden. Gleichzeitig verkörperten meine Eltern trotz ihrer Loslösung viel von einer Kultur, die sich sehr von der südafrikanischen Umwelt unterschied und die mich verzauberte. Die Liebe meines Vaters zu deutschen Tenören steckte mich an und ich war fasziniert davon, wie er unzählige deutsche Gedichte rezitieren konnte. Obwohl meine Eltern gewiss nicht zum Bildungsbürgertum gehörten, waren sie, wie viele deutsche Juden, von seinen ästhetischen und schöpferischen Werten geprägt, aber auch von seinen Fehleinschätzungen und Vorurteilen. Es war mir lange nicht bewusst, in welcher Weise mein akademischer Lebensweg auch dadurch geprägt wurde, ihr Leben zurückzuverfolgen und damit die intrikaten Dimensionen der vielfältigen, enthusiastischen und zugleich konflikteichen Versuche moderner deutscher Juden nachzuvollziehen, Teil und vielleicht auch Mitgestalter der deutschen Kultur zu werden. Kapitel 1, Spiegelbild, Projektion, Zerrbild, präsentiert einige der frühesten Früchte dieses kontinuierlichen Unterfangens. Das Werk, das diesem Kapitel zugrunde liegt, erkundet die unzähligen Arten, auf denen der traditionelle Ostjude als reale Figur wie auch als wechselnder Archetyp in der allgemeinen deutschen Gesellschaft betrachtet wurde (schicksalhaft oft als Objekt eines spezifischen Antisemitismus). Insbesondere fungierte er, die Kreatur des dunklen Ghettos, als grundlegende Kontrastfolie eines dezidiert deutsch-jüdischen Selbstbewusstseins.1 Dabei entwirre ich nicht nur das komplexe Kaleidoskop von (meist negativen oder zumindest ambivalenten) Stereotypen und Narrativen, sondern dokumentiere auch die Inversion, die sie durch junge Intellektuelle wie Martin Buber, Franz Rosenzweig, Franz Kafka und Gershom Scholem im frühen 20. Jahrhundert erfuhren. Ihnen galt der Ostjude als jüdischer Kulturheld, als Gegensatz zur rückgratlosen bürgerlichen Assimilation, als Verkörperung einer fortlaufenden Tradition und als authentisches Medium einer erhofften jüdischen Renaissance. (In Klammern sei bemerkt, dass jene Studie zwar einige Resonanz erzielte, aber nicht ins Deutsche übersetzt wurde, wenngleich bei ihrem Erscheinen im Jahr 1982 eine deutsche Ausgabe angedacht war. Ich hörte seinerzeit, die Veröffentlichung negativer Meinungen von Juden über andere Juden sei in Deutschland ein zu sensibles Thema. Man kann nur hoffen, dass sich die Situation inzwischen verbessert hat.) Diese Interessen führten mich beinahe nahtlos auf die großen Schöpfungen und inneren Kämpfe deutsch-jüdischer Intellektueller im 19. und 20. Jahrhundert hin. Ihr explosiver Zusammenstoß mit der europäischen und deutschen Kultur trieb erstaunliche, wenn auch mitunter schmerzvolle Blüten aus sich hervor. Dies galt insbesondere für die jüdischen Intellektuellen der Weimarer Republik, von denen viele durch den Nationalsozialismus ins Exil gezwungen wurden. Peter Gay hat sogar behauptet, dass „die von Hitler geschaffenen Emigranten […] die größte Ansammlung von umgesiedelter Intelligenz, Begabung und Gelehrsamkeit dar[stellten], die die Welt jemals gesehen hat“.2 In den Kapiteln Jenseits von Bildung und Liberalismus, Grenzüberschreitende Kultfiguren, Dialektik der Aufklärung wiedergelesen sowie im Nachwort werden die Kontexte, Zwangslagen, Wechselbeziehungen, die Schwächen und die kreativen Leistungen von Denkern beleuchtet, die in späteren Jahren beinahe Kultstatus genossen, darunter Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Hannah Arendt, Walter Benjamin, Gershom Scholem, Leo Strauss und Ernst Bloch. In Anbetracht meines familiären Hintergrunds war es auch natürlich, dass ich mich mehr zur deutschsprachigen Philosophie und Literaturtradition hingezogen gefühlt habe als zum angelsächsischen oder französischen Erbe. Wenngleich ich anfangs fast nichts über ihr Werk wusste, besaßen Namen wie Kant, Goethe, Schiller, Hegel, Schopenhauer und Nietzsche einen geradezu magischen Klang für mich; fast intuitiv spürte ich, wie ihre Brillanz, ihre Tiefe und ihre Dämonie miteinander zusammenhingen. In meinem 1992 auf Englisch und vier Jahre später in deutscher Übersetzung erschienenen Werk zur Nietzsche-Rezeption, Nietzsche und die Deutschen. Karriere eines Kults, bin ich auf diese verschlungenen Wesenszüge eingegangen, indem ich untersuchte, auf welch vielfältige Art und Weise dieser Denker kasuistisch annektiert und für eine lange Reihe einander oft widerstreitender sozialer, politischer und kultureller Bewegungen eingespannt werden konnte.3 Kapitel 5 des vorliegenden Bandes, Nietzsche, der Antisemitismus und der Holocaust, widmet sich vornehmlich den düstereren Aspekten dieser Wirkungsgeschichte und den kontroversen Fragen in Bezug auf Nietzsche, den Nationalsozialismus und den Holocaust. Dies ist nur ein Beispiel für die komplexe, spannungsreiche und potenziell mörderische Dialektik von Kultur und Katastrophe, die meine lebenslangen Forschungsanstrengungen bestimmt. Culture and Catastrophe lautet, dazu passend, denn auch der Titel meines dritten Buchs, dem die Kapitel Jenseits von Bildung und Liberalismus und Der Jude im Innern entnommen sind.4 Der ähnlich lautende Titel des vorliegenden Bands zeugt von dieser andauernden Sorge. Die Folgen jener Dialektik verfolgen mich auch jetzt, wo ich Anfang Dezember 2023 diese Zeilen verfasse, während der grausame Israel-Gaza-Krieg erbarmungslos andauert. Auf Engste mit dieser Sorge verbunden ist selbstverständlich das schwierige Problem des Antisemitismus. Einige der hier versammelten Kapitel, insbesondere das Kapitel Der Jude im Innern über den Topos der „Verjudung“, versuchen seine offensichtliche Beziehung zum Holocaust darzustellen. Wie gegenwärtige Entwicklungen auf der ganzen Welt deutlich zeigen, ist dies keine rein akademische oder kommemorative Übung, sondern eine dringliche politische und existenzielle Angelegenheit. Man hätte meinen können, in der Nach-Holocaust-Ära sei der Antisemitismus erfolgreich tabuisiert, marginalisiert, an die frustrierten äußeren Ränder gedrängt worden. Doch erschreckenderweise ist der Hass gegen Juden – wenn auch in ganz anderen Kontexten – heute erneut verbreitet. Vor allem anderen ist er durch den Israel-Gaza-Krieg entfesselt worden. Zeugt sein Aufflammen davon, dass der Antisemitismus lediglich geschlummert hat, um auf den richtigen Moment zu warten? Sein proteischer und polymorpher Charakter scheint derzeit vor allem, (aber nicht nur) in „progressiven“ postkolonialen Narrativen, muslimischem Fundamentalismus und protofaschistischen Ausdrucksweisen anzuklingen. Ein uraltes Phänomen erweist sich so als weiterhin adaptierbar für vielfältige, oftmals inkompatible Interessen und Parteien. Noch ein weiterer entscheidender Aspekt meines Lebens und meiner Arbeit kommt im vorliegenden Band zur Sprache. Die Entscheidung, in Israel zu leben, hat die Themen, die Fragen, Paradoxien und Probleme, mit denen ich mich über die Jahre beschäftigt habe, nachhaltig beeinflusst, wenn nicht geprägt. Israel war nie eine neutrale geographische Standortwahl. Auf komplexe Weise ist dieses Land und Gemeinwesen für mich immer persönlich bedeutsam gewesen, eine Mischung von Hochgefühl und banger Sorge. Das implizite, wenn auch selten eingestandene Bewusstsein von der Fragilität der Dinge, das Wissen, dass wir auf Messers Schneide leben, macht das Dasein extrem spannungsgeladen und akut. Selbst in vermeintlich normalen Zeiten nimmt das Lehren und Schreiben in diesem Land eine existenzielle Dimension an, die Herausforderungen sind dringlich und mit Händen zu greifen. Die entwurzelnden tektonischen Verwerfungen des andauernden Kriegs, der am 7. Oktober 2023 auf schockierende Art begann, haben die Schwelle der Wachsamkeit5 noch einmal radikal gesenkt, den Schock, die Furcht, die Angst und die Wut ins Extrem gesteigert. In dieser schlimmen Situation kommt vielleicht einigen der vorliegenden Aufsätze neue Bedeutung zu, namentlich Kapitel 7, Der Zionismus und Europa, und Kapitel 8, Über die politische Ökonomie des Mitgefühls. Die Reflexionen über den Zionismus und Europa werfen zwar kein unmittelbares Licht auf das, was zum Ausbruch des Krieges führte, verweisen aber auf einige der zentralen Spannungen und Widersprüche innerhalb des zionistischen Unternehmens. Der Krieg hat sie nicht lösbarer gemacht, er unterstreicht aber angesichts der unvermeidlich...


Steven E. Aschheim, geb. 1942, Historiker und emeritierter Professor der Hebräischen Universität Jerusalem. Forschungen auf den Gebieten der Intellektuellengeschichte sowie der modernen deutschen und jüdischen Geschichte. Er war Inhaber zahlreicher Gastprofessuren an renommierten amerikanischen und europäischen Universitäten. 2023 erschien in der Europäischen Verlagsanstalt sein Buch "Scholem, Arendt, Klemperer. Deutsch-jüdische Identität in Krisenzeiten".


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