E-Book, Deutsch, 210 Seiten
Arnold Ostermorde
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-946734-81-9
Verlag: edition krimi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 210 Seiten
ISBN: 978-3-946734-81-9
Verlag: edition krimi
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Martina Arnold studierte Politologie (Universität Stuttgart) und Journalismus (FU Berlin). Während des Studiums unvergessliche und sinnlich prägende Jobs, als Würstchenverkäuferin auf dem Weihnachtsmarkt und Lokalreporterin für die Heimatzeitung. Später Moderatorin und Reporterin beim Hörfunk (u.a. Berliner Rundfunk), danach Redakteurin und Drehbuch-Autorin für verschiedene TV-Formate wie Wissenschaft und Unterhaltung, sowie TV-Serie (ZDF ?Julia, Wege zum Glück?). Daneben eigene Kurzfilme. Konzipiert und textet Bühnenshows für Industrieevents. Ihre Erfahrungen aus dem prallen Leben verarbeitet sie als freie Autorin zu Kriminal- und anderen Geschichten.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Patricia Holland Moritz
Des Hasen letzte Zigarette
Ostern würde Heiner anstelle von Eiern einfach mal sich selbst verstecken.
Er hing diesem brauchbaren Gedanken noch nach, als eine Kundin so behutsam ihre Einkäufe aus dem Korb auf das Band packte, als wären es rohe Eier. Heiners Augen verengten sich. Jedes Piepen des Scanners hinterließ eine weitere Kerbe in seinem latent brüchigen Befinden. Slipeinlagen, obwohl die Frau im Alter für Tena-Lady-Urinbremsen war. Toilettenpapier ›Maritim‹ mit Kompass und Anker bedruckt. Gefrierbeutel. Da wurde auch mal vorgekocht. Alle Produkte Hausmarke. Pragmatisch, spießig und sparsam. So sah sie auch aus, mit ihrer praktischen Kurzhaarfrisur und dem Kassengestell auf der Nase. Der Ehering an ihrem Finger schnitt ins Fleisch, so ewig, wie er da schon von ihr, ihrem Mann und von der Welt vergessen saß.
»Drei Euro siebenundvierzig.«
»Kann ich mit EC-Karte?«
Aus New York hatte sie das nicht. Sie war jemand, der nicht gerne Geld abhob, der keine zum Ausgeben verführende Scheine in der Tasche haben wollte, für die verlockenden kleinen Straßencafés und Spätis, an denen man das heimliche Bier mit dem Klaren nur bar zahlen konnte.
»Was wollen Sie denn mit Ihrer EC-Karte machen?«
»Na, zahlen!«
»Dann reden Sie in ganzen Sätzen mit mir, und ich weiß, was Sie meinen. Und ja, Sie können natürlich mit der EC-Karte zahlen.« Heiner nahm der ratlos dreinblickenden Frau die EC-Karte aus der Hand und schob sie in den Schlitz des Kartenlesers. »Pin eingeben und bestätigen.«
»Manchmal ist ja mit Unterschrift.«
»Manchmal ist mit Unterschrift und manchmal ist Ostern. Wie jetzt.«
Ihre Ratlosigkeit wich Bestürzung, und nun schien ihr auch gleich die Pin-Nummer entfallen zu sein.
»Ich komm nicht drauf«, sagte sie schüchtern. Auf ihrer zierlichen Nase bildeten sich Schweißtröpfchen wie Morgentau. Es war neun Uhr morgens, sie schien also keiner geregelten Arbeit nachzugehen, zumindest keiner, die sich in der oberen Liga der Anstellungsverhältnisse abspielte. Wahrscheinlich staubsaugte sie nachts Büroraume, denn wie eine Chefärztin vor dem Nachdienst sah sie nicht aus.
»Es war eine Jahreszahl …«, überlegte sie laut.
»Ihr Geburtsjahr vielleicht? 1937?«, sprang Heiner ihr helfend zur Seite.
»Sie sind ganz …«, sie schüttelte ungläubig den Kopf im Anlauf auf das Wort, das sie nun gebrauchen würde, »abscheulich!«
Sie zog die EC-Karte aus dem Kartenleser und legte vier Euromünzen auf den Geldteller.
Während sie ihren Mikroeinkauf in dem Faltbeutel an ihrem Handgelenk verstaute, gab Heiner ihr das Wechselgeld in Kupfermünzen zurück, und die Frau verließ, immer noch kopfschüttelnd, den Laden.
Heiner lehnte sich entspannt in seinem Kassenstuhl zurück. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schloss die Augen.
Gründonnerstag. Als er am Morgen die Wohnung verlassen hatte, saß seine Mutter aufrecht am Tisch. Etwas abwesend hatte sie gewirkt, genauso abwesend, wie sie es während seines ganzen Lebens gewesen war. Sie saß am Kopfende des Tisches, und blickte auf zwölf ihrer Puppen, die sie sich zu Dutzenden auf einem TV-Shopping-Kanal gekauft hatte. Heiner hatte die schönsten ausgesucht, denn so ein Gründonnerstag allein zuhause konnte ein langer, zermürbender und deprimierender Tag werden.
Er vernahm ein Räuspern. Nickte dem Mann zu, der ungeduldig eine Packung Einmalrasierer und eine Cola auf das Band legte. «Zwei Euro achtzehn.«
Die Nacht entweder bei einem Kollegen auf der Besuchercouch geschlafen oder mit der Geliebten im Hotel verbracht. Geduscht hatte er wohl, aber seinen Klamotten haftete süßlicher Schweißgeruch an. Heiner klaubte die drei hingeworfenen Euromünzen vom Teller und reagierte nicht auf das »Stimmt so!« des Mannes. Einen knappen Euro Trinkgeld für keinerlei Service, der Typ hatte entweder Geld oder er war in Gedanken woanders. Also doch noch beim Gespräch mit dem Kollegen letzte Nacht oder zwischen den Schenkeln seiner Geliebten und wie er das alles seiner Lebensgefährtin verkaufen würde, die letzte Woche noch mit ihm zusammen und dem Baby auf dem Arm Windeln und Rasierwasser hier gekauft hatte.
Heiner schaute dem Mann hinterher und drehte sich so, dass er das Schaufenster im Blick hatte. Er schaute auf die Uhr. Neun Uhr zwanzig. In zehn Minuten müsste er da sein.
Lippenstift der Billigmarke, Abschminktücher, teure Nachtcreme, Tampons super plus, Magnesiumtabletten. Auf gesunder Haut wirkte auch billiger Lippenstift wie ein Markenprodukt, sie hatte bereits Kinder und verhütete nun mit einer Spirale, die starke Monatsblutungen verursachte und trotz ihrer Arthrose, die sie etwas steif gehen ließ und ihr schon ein paar Extrapfunde verursacht hatte, zwang sie sich hin und wieder eine paar Joggingrunden ab, die Krämpfe im Wadenbein und Fußspann nach sich zogen. Die Frau schaute ihn so freundlich an, wie sie wohl jeden Dienstleister anschaute, der ihr begegnete. Mitte vierzig, glatte Haut mit Fältchen um Augen und Mund, die lediglich von Freundlichgucken gefräst waren, ein straffes Fettpolster über dem Bund ihres Rockes, über den sich ein lang nach unten gezogener Rollkragenpulli spannte. Kleidungsstücke, die strecken sollten, wo nichts zu strecken ging.
»Zwanzig Euro einundsechzig.«
Sie reichte ihm zwei Zehn-Euro-Noten und eine Münze. Er zählte das Wechselgeld auf den Teller, schaute ihr nach und ließ seinen Blick wieder über den Fußweg vor dem Schaufenster schweifen. Der Osterhase. Er war da. Heiner schaute auf die Uhr. Neun Uhr dreißig. Gegen zehn würde Heiner auf dem Hinterhof eine rauchen gehen.
Er vernahm das Rasseln eines Metallwagens. Jasmine hatte die Regale mit dem Badezusatz und den Duschbädern aufgefüllt und kam nun auf dem Weg zur Osterdeko an seiner Kasse vorbei.
»Was macht ihr Ostern, du und deine Mutter?«
Heiner verschränkte die Arme hinter dem Kopf.
»Ganz tiefenentspannt. Getrennt voneinander. Sie zuhause. Ich hier.«
»Stört es dich nicht, Ostern zu arbeiten?«
Er hatte am Vortag ihren Personalkauf abkassiert. Parfüm mit passendem Duschbad und Bodylotion, alles mit dem Namenszug einer abgehalfterten Tennislegende versehen, Backpapier, Mundspray, eine Tiefenreparatur für sprödes Haar und ein Haarfärbeset mit Pinsel. Sie war erst zwanzig. Der Typ, mit dem sie verabredet war, musste ja noch nicht ihre letzte Wahl sein.
»Nein, es stört mich nicht, Ostern zu arbeiten. Lediglich meine Mutter stört sich daran, so gläubig wie sie ist. Aber das habe ich ja nun lange genug mitgemacht.«
Er wusste längst, dass die Kollegen hinter seinem Rücken kicherten. Mit fünfunddreißig war er vielleicht später dran als die anderen, hatte erst vor wenigen Tagen mit dem Rauchen begonnen und dafür Demütigung durch seine Mutter in Kauf nehmen müssen, aber das war ihm leicht gefallen, weil er ihre Verachtung gewöhnt war und sie keinen Unterschied zu früher machte.
Apropos, dachte er. »Ich geh eine rauchen. Kannst du mich kurz vertreten?«
»Na klar«, sagte Jasmine, schob den Metallwagen zu Seite und setzte sich hinter die Kasse. Der Osterhase auf dem Fußweg war verschwunden, Heiner schaute auf seine Uhr, es war zehn.
Auf einer Bank in dem kleinen Hinterhof saß ein älterer Herr im Osterhasenkostüm und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Den Osterhasenkopf mit langen, herabhängenden Plüschlöffeln auf seinem Schoß platziert, steckte er sich gerade eine Zigarette an, als Heiner den Hof betrat.
»Na, was für ein Zufall! Wir beide scheinen ja das gleiche Timing beim Rauchen zu haben!« Das neue Vokabular, das er nun immer öfter benutzte, gefiel Heiner gut, auch wenn es zusammen mit dem Kleidungsstil eines Pennälers etwas Albernes hatte. Aber schließlich ließ sich das Leben nicht an einem Tag verändern, dafür waren viele kleine Schritte nötig, und wenn Heiner eines hatte, dann war es genügend Zeit.
Der Osterhase gab ihm Feuer. »Wegen meiner Raucherei habe ich kaum Zeit für die Mittagspause. Für jede Zigarette muss ich fünf Minuten rechnen, am ganzen Tag darf ich aber nur zwanzig Minuten weg von der Straße sein, für einen Kettenraucher wie mich schon allein mathematisch eine Herausforderung.«
»Ach!«, sagte Heiner und bemühte sich, betroffen auszusehen. »Was verteilen Sie da eigentlich?«
»Flyer für das Ostermusical im Friedrichstadtpalast. Das läuft ab heute Abend und bis einschließlich Ostermontag. Ist ja nur ein Gastspiel. Umso wichtiger, dass die Hütte voll ist.«
»Ach!«, wiederholte Heiner, nun hellhörig geworden. »Das wäre ja etwas für meine Mutter!«
»Hier!«, sagte der Osterhase begeistert und griff in seinen Bauchbeutel, der ihn eher wie ein Känguru aussehen ließ, »mit diesem Flyer bekommt sie beim Kauf eines Tickets zehn Prozent Rabatt.«
»Dann läuft es wohl nicht so dolle mit dem Ticketverkauf?« Sein Satz schien das Stichwort für den Osterhasen gewesen zu sein, der nun hektisch auf seine Uhr schaute und die Zigarette ausdrückte.
»Läuft überhaupt nicht, um ehrlich zu sein. Also wäre es wirklich großartig, wenn Ihre Mutter kommen könnte und vielleicht auch den Flyer mitbrächte. Dann sehen die Jungs, dass ein Anteil des heiß ersehnten Umsatzes von mir kommt.«
»Danke!«, sagte Heiner und steckte den...