E-Book, Deutsch, 112 Seiten
Theologisch-praktische Quartalschrift 3/2024
E-Book, Deutsch, 112 Seiten
Reihe: Theologisch-praktische Quartalschrift
ISBN: 978-3-7917-6253-1
Verlag: Pustet, F
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Ansgar Kreutzer Jenseits der Entfremdung
Kritisch-zeitgenössische Theologie der Arbeit
„Arbeit“ galt in der Theologie lange als Thema der Sozialethik und Soziallehre der Kirche. Mit der Politischen Theologie der 1960er und 1970er Jahre rückte sie in den Fokus der Systematischen Theologie. Der Gießener Systematische Theologe Ansgar Kreutzer zeigt in seinem Beitrag, wie das Thema Arbeit den einschlägigen Deutungen bei Dorothee Sölle und Johann Baptist Metz neue Aktualität verleiht. Mit den Stichworten Muße und Mystik des Soziologen Hartmut Rosa und mit dem Begriff von Zärtlichkeit in der Theologie von Papst Franziskus zeichnet der Autor eine überzeugende Skizze einer zeitgenössischen Theologie der Arbeit. (Redaktion) 1. Einleitung: Politische Theologie der Arbeit für heute
Nachdem es lange Zeit ruhig um sie geworden schien, sind inzwischen Ansatz und Herangehensweisen einer politischen Theologie in den akademischen Betrieb zurückgekehrt.1 Diese Entwicklung sollte nicht überraschen, sind doch die entscheidenden Argumente, Theologie politisch sensibel zu betreiben, gültig geblieben. Auf eher fundamentaltheologischer Ebene hat etwa Johann Baptist Metz zurecht darauf hingewiesen, dass es zur reflexiven Selbstvergewisserung von Theologie und Glaube gehört, sich über ihre immer schon gegebene Verstrickung in gesellschaftliche und politische Zusammenhänge aufzuklären. Insofern muss Theologie ihren „Abschied von gesellschaftlicher und politischer Unschuld“2 nehmen. Zurecht fordert Metz eine „Entprivatisierung der theologischen Begriffswelt, der Verkündigungssprache und der Spiritualität“3. Dieses Programm einer notwendigen Entprivatisierung christlichen Glaubens lässt sich ebenso in dogmatischer Perspektive, mit Blick auf die zentralen Glaubensinhalte, begründen. So „betont Politische Theologie, dass sich die zentralen Verheißungen der neutestamentlichen Reich-Gottes-Botschaft (Freiheit, Friede, Gerechtigkeit, Versöhnung) nicht radikal privatisieren lassen“4. Aus diesem Begründungsprogramm einer politischen Theologie lässt sich eine bestimmte theologische Methode ableiten, die für diesen Beitrag leitend ist: die (gesellschafts)kritische Korrelation von elementaren christlichen Glaubensinhalten mit den jeweils gegenwärtigen sozial und politisch geprägten Lebenswelten. Paradigmatisch hat Metz dieses gesellschaftskritisch-korrelative Vorgehen politischer Theologie in dem von ihm verfassten Grundlagendokument der Würzburger Synode (1971–1975) „Unsere Hoffnung“ anhand seiner aktualisierten Auslegung des Credos durchgeführt, um „die Botschaft dieser Hoffnung und die Erfahrungen unserer Lebenswelt zusammenzuführen“5. Ohne Zweifel gehören zu den prägenden lebensweltlichen Erfahrungen in der gegenwärtigen Gesellschaft Erfahrungen in und mit der (Erwerbs-)Arbeit, sodass sie Gegenstand einer politischen und gesellschaftskritisch-korrelativen Theologie wird.6 Unter den Klassiker:innen der politischen Theologie hat Dorothee Sölle mit „lieben und arbeiten“7 in den 1980er Jahren eine schöpfungstheologisch ausgearbeitete Theologie der Arbeit vorgelegt. Insofern der politischen Theologie gerade der jeweils neue Gegenwartsbezug eignet, muss sie freilich im steten Bezug auf heutige Lebenswelten immer wieder reformuliert werden.8 In diesem Sinn sollen hier einige Konturen einer aktualisierten Theologie der Arbeit umrissen werden, die sich angesichts herrschender Schlagworte wie Digitalisierung, Globalisierung, Prekarisierung, Subjektivierung, Entgrenzung und Zunahme von Care-Arbeit offenbar in einem grundlegenden Wandel befindet. Dazu gehe ich zunächst auf den klassischen Entwurf von Sölle ein, in dessen Zentrum die Entfremdungskritik steht (2). In einem nächsten Schritt möchte ich – im Rückgriff auf die gegenwärtige Arbeitssoziologie und Entfremdungsdebatte – zeigen, dass diese Fokussierung keineswegs obsolet geworden ist, die Formen von Entfremdung in und durch Arbeit jedoch andere geworden sind (3). Von diesem Befund aus sollen dann einige Leitbilder skizziert werden, die in weiterer Ausfaltung eine kritisch-zeitgenössische Theologie der Arbeit inspirieren können (4). 2. Sölles entfremdungskritische (Schöpfungs-)Theologie der Arbeit9
Sölle verortet ihre Auseinandersetzung mit dem anthropologischen und gesellschaftlichen Grundphänomen der Arbeit schöpfungstheologisch. Schematisiert man ihr 1985 erschienenes Werk „lieben und arbeiten“ im Hinblick auf die darin enthaltene Theologie der Arbeit, lässt sich sehr gerafft eine Art doppelter Dialektik (sozusagen jeweils aus These, Antithese und Synthese) herauslesen: Zunächst beginnt Sölle ihre Schöpfungstheologie mit der positiven Sinnaussage, dass die Welt als Gottes gute Schöpfung grundsätzlich zustimmungsfähig, spirituell formuliert: zu loben ist. „Das Ziel einer Theologie der Schöpfung ist, uns zu einem großen Ja zu befähigen, so dass wir sagen können: Amen, so soll es sein, es ist sehr gut.“10 Als ‚Antithese‘ zur lobenswerten Gutheit der Schöpfung trifft die politisch wache Theologie Sölles freilich auf inakzeptables Leid und himmelschreiendes Unrecht, die nicht einfach religiös naiv ausgeblendet werden dürfen: „Gottes gute Erde kann nur lieben, wer Hunger und Ausbeutung derer, die mit uns leben, zur Kenntnis nimmt.“11 Die ‚Synthese‘ aus der im Glauben erhofften Zustimmungsfähigkeit der Schöpfung und der Sensibilität für inakzeptables Leid besteht darin, dass zur Weltbejahung die Weltveränderung gehört. In dieser Sicht führt Sölle das für sie leitende Konzept der „Co-Creatio“, der Mit-Schöpferschaft, ein, das den Menschen in das Schöpfungshandeln integriert und ihn, gebündelt im Theologumenon der Gottebenbildlichkeit,12 in die Verantwortung der Weltgestaltung und der Weltveränderung ruft. In diesem politisch-theologischen Sinne bedeutet Schöpfung das „Zusammenwirken mit Gott bei der Linderung menschlichen Leidens und dem Eintreten für Gerechtigkeit in der Welt“13. Diese schöpfungstheologische Grunddialektik findet sich ebenso in Sölles expliziter Theologie der Arbeit. Auch hier geht sie von einer grundsätzlichen Positivität von Arbeit aus. Dies gilt anthropologisch, ist Arbeit doch nichts weniger als eine „Praxis der Selbstverwirklichung“14. Es gilt auch theologisch, insofern Arbeiten als Weltgestaltung und Weltveränderung Mit-Schöpfung an Gottes weiterzuführender Schöpfung („creatio continua“) bedeutet: „Theologisch gesprochen ist der Arbeiter das lebendige Symbol für den unablässig weitergehenden Prozess der Schöpfung.“15 Die Negation zu dieser grundsätzlichen Positivität von Arbeit besteht für Sölle, in einer Rezeption der Marx’schen Gesellschaftskritik, darin, dass das menschliche Schaffen unter den Bedingungen realkapitalistischer Wirtschaftsverhältnisse entfremdet ist. „Entfremdung verneint die Bestimmung des Menschen.“16 Plastisch schildert sie entfremdete Arbeit mit dem Bildmotiv der Tretmühle, einem Laufrad aus „lange zurückliegenden, präkapitalistischen Epochen“17, in das Menschen (meist Sklaven und Gefangene) eingespannt wurden, um die existenzsichernde Tätigkeit des Mahlens mit ihrer Arbeitskraft selbst zu verrichten. In Sölles Interpretation dieses für entfremdete Arbeit gebrauchten Bildes fehlen darin die entscheidenden menschlichen Grundvollzüge, die zur kreativen Bestätigung gehören. Es fehlen – fixiert im Laufrad – der erkennbare Fortschritt, die Fähigkeit über die Rahmenbedingungen, etwa den Zeitrhythmus, zu bestimmen und der Kontakt zu Kolleg:innen. Zusammenfassend fehlt, was Arbeit unter anthropologischer und theologischer („Co-Creatio“) im Kern heißt: der freie Selbstausdruck. Die Tretmühle „hält uns gefangen in etwas, was kleiner ist, als wir sind und sein könnten“18. Auch bei ihrer Theologie der Arbeit nimmt Sölle schließlich eine Art Synthese, eine Negation der Negation, in den Blick – nämlich die Überwindung von Entfremdung in und durch Arbeit – und verbindet diese mit ihrer Theologie der Schöpfung: „Eine Konsequenz daraus ist, dass wir die Zerstörung der Gottesebenbildlichkeit, die sich in entfremdeter Arbeit ausdrückt, beseitigen müssen.“19 Wie aber stellt sich Entfremdung im heutigen digitalen Kapitalismus dar? 3. Neue Gefahren der Entfremdung: Subjektivierung und Entgrenzung
Sölles Illustration entfremdeter Arbeit – der ohne sichtbaren Fortschritt und Kollegialität in der Tretmühle eingespannte, an seiner Selbstentfaltung durch Arbeit gehinderte Mensch...