Anthony / Spence | Das letzte Nashorn | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

Anthony / Spence Das letzte Nashorn

Was ich von einer aussterbenden Tierart über das Leben lernte
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-96121-567-6
Verlag: mvg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Was ich von einer aussterbenden Tierart über das Leben lernte

E-Book, Deutsch, 384 Seiten

ISBN: 978-3-96121-567-6
Verlag: mvg
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Als der Naturschützer Lawrence Anthony erfährt, dass nur noch einige wenige Nördliche Breitmaulnashörner in freier Wildbahn leben, ist er fest entschlossen, die Rhinos vor dem Aussterben zu retten. Doch die starke Nachfrage nach ihren Hörnern gefährdet nicht nur das Leben dieser erhabenen Tiere, sondern auch das der Ranger, die sie beschützen wollen. Unerschrocken stellt Anthony sich Wilderern, berüchtigten Rebellengruppen und einer unbeweglichen Regierungsbürokratie entgegen und muss dabei auch noch um das Überleben seiner eigenen Tiere in seinem Naturschutzreservat in Südafrika kämpfen, das von einer schrecklichen Dürre heimgesucht wird. Ein mutiger Kreuzzug, der sich wie ein Safari-Abenteuer, eine Geschichtsstunde und eine Warnung an die Menschheit liest. Mit beeindruckenden Fotos aus Afrika.

Der Umweltschützer Lawrence Anthony war Gründer der Earth Organization. Für seine Arbeit wurde er mit dem Earth-Day-Award der Vereinten Nationen ausgezeichnet. Er lebte im südafrikanischen Zululand. Nach seinem Tod im März 2012 kamen viele Elefanten zum Abschied an sein Haus und erwiesen ihm somit die letzte Ehre. Graham Spence ist Journalist. Er lebt in England.

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1
Es war kaum hell geworden, als das Funkgerät knisternd zum Leben erwachte. »Code Red! Code Red! Lawrence, bitte kommen. Over.« »Hier Lawrence!« »Der Tag fängt schlecht an.« Der Funker machte eine Pause. »Wir haben ein totes Nashorn am Hlaza Hill. Ein Weibchen. Over.« Angst ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Ich richtete den Blick in den Himmel über dem fernen Hlaza Hill, dem höchsten Punkt des neuen Wildreservats, das an Thula Thula grenzt, mein eigenes Reservat und mein Zuhause im südafrikanischen Zululand. Es waren weder Geier noch Gewehrschüsse gemeldet worden. Letztere nämlich hallen bei entsprechendem Wind wie Donnerschlag über die afrikanische Ebene. »Todesursache?«, fragte ich und fürchtete das Schlimmste. »Wilderer. Beide Hörner sind weg. Der ganze Boden ist blutig. Das waren Profis. Sieht aus, als hätten sie ein AK-47 verwendet oder vielleicht ein altes Militär-R1.« Ich spürte, wie meine Fäuste sich zusammenballten. Nashorn-Wilderer – das schlimmste Übel der Wildnis, das sich mittlerweile zur Pandemie ausgewachsen hatte. »Wie lange ist sie schon tot?« »Können höchstens ein paar Stunden sein. Vermutlich haben sie sie um Mitternacht erlegt. Der Mond war ja hell genug.« »Okay, ich fahre gleich los. Ende.« Ich warf einen Blick auf die Pumpgun-Schrotflinte, die auf dem Beifahrersitz meines Landrovers lag, griff nach der Munitionskiste und stopfte mir ein paar Handvoll SG-Patronen in die Taschen. Gegen jede Hoffnung wünschte ich mir, die Wilderer wären noch auf dem Gelände des Reservats. Die Schmeißfliegen sammelten sich schon, als ich am Tatort ankam. Die Luft roch metallisch nach Blut. Das Rhinozeros lag völlig atypisch auf der Seite, die Beine unnatürlich vom steifen Körper abgespreizt. Ich stieg aus dem Landrover und ging zu den drei Rangern hinüber. Niemand sprach ein Wort. Der Schock über den Abschuss, die Gegenwart des gewaltigen toten Körpers, ließen uns die Worte im Hals ersterben. Nashörner besitzen eine alte, ewige Schönheit. Von ihren massigen Körpern, geschützt von dicken Panzern, als wären sie Kreaturen der Vorzeit, und ihrem krummsäbelartigen Vorderhorn geht ein ganz eigener Zauber aus. Sie wiegen bis zu dreieinhalb Tonnen und erreichen ungefähr einen Meter achtzig Körpergröße. Das macht sie – nach den Elefanten – zu den größten Landsäugetieren der Welt. Im Tod aber war diese Schönheit nun verschwunden. Die majestätischen Hörner waren von scharf geschliffenen Macheten abgehackt worden – pangas, wie wir sie in Afrika nennen. Das schöne Antlitz förmlich entweiht. Die Augen starrten leer in die Welt. Rund um den grotesk verstümmelten Kopf war das Blut in großen Lachen geronnen. Ohne ihr Horn sah die mächtige Kreatur aus wie ein hilfloses Baby. Ich konnte sehen, dass die Wildhüter ebenso erschüttert waren wie ich. In Afrika ist der Kampf gegen die Wilderer etwas zutiefst Persönliches. Dabei gibt es zwei Arten von Wilderern: Die örtlichen Stammesmitglieder erlegen etwas Kleines, das den Kochtopf füllt. Die Schwergewichte aber, die professionellen Killer, machen Jagd auf die Hörner von Nashörnern und das Elfenbein der Elefanten. Diese Typen erschießen auch Wildhüter und prahlen dann noch damit. Jede Form von Wilderei ist ein Verbrechen, doch wer ein Nashorn oder einen Elefanten tötet, will damit nicht seine Familie ernähren. Hier geht es um Blutgeld. Und diese Art von Gewalt geht uns alle an. »Wer hat das tote Tier gefunden?« Bheki, dem ich von all meinen Wildhütern am meisten vertraute, schaute auf und zeigte auf einen Wächter namens Simelane, einen jungen Zulu, der ein wenig abseitsstand. Ich winkte ihn zu mir herüber. »Sawubona, Simelane«, grüßte ich ihn. »Was ist hier passiert?« »Sawubona, Mkhulu. Ich war auf Patrouille, als ich das tote Nashorn sah«, antwortete er ruhig und starrte zu Boden. »Wer war bei dir?« »Ich war allein.« »Du bist hier ganz allein auf Patrouille gewesen?«, fragte ich überrascht. Eine Wildhüterstreife bestand gewöhnlich aus zwei bewaffneten Männern. »Ja, ich war allein.« Sein Flüstern war kaum zu hören. Ich wollte eben mit der Befragung weitermachen, als eine laute Zulustimme mich übertönte. »Mkhulu, hier ist viel zu viel Blut.« Es war Bheki, der vor dem Kopf des Tieres kniete, um ihn genauer in Augenschein zu nehmen. »Zu viel Blut«, wiederholte er. »Das heißt, sie hatten es eilig. Sie haben die Hörner abgeschnitten, als sie noch gelebt hat. Sie war vielleicht bewusstlos, aber noch am Leben.« Einen Augenblick starrten wir Bheki nur entsetzt an. Dann erst begriffen wir. Diese Ungeheuer hatten einem lebendigen Tier die Hörner abgesäbelt. »Wohin sind sie verschwunden?«, fragte ich Bheki, mit dem zusammen ich mir in den letzten zehn Jahren mehrere Feuergefechte mit Wilderern geliefert hatte. Er zeigte nach Osten. »Vor vier oder fünf Stunden vielleicht.« Das hieß: Wenn sie sich nicht irgendwo versteckt hielten, wären sie schon fast an der Grenze des Reservats. Sie würden auf die Townships zuhalten, wo wir sie nie im Leben erwischen würden. Doch das bedeutete nicht, dass wir es nicht versuchen würden. Zumindest würden wir so unsere angestaute Wut los. »Okay, wir kennen ja alle die Vorgehensweise«, sagte ich. »Diese Kerle haben vermutlich Maschinenpistolen, und wir wissen, was das bedeutet. Wenn wir sie stellen können und sie auch nur daran denken, ihre Gewehre anzuheben, schießt schnell und schießt zuerst. Denn sie haben Automatikfeuerwaffen.« Ich blickte in die feierlichen Gesichter. Wir hatten nur normale Gewehre und Lee-Enfield-Repetiergewehre Kaliber .303 aus dem Zweiten Weltkrieg. Was die Waffenstärke anging, waren wir vollkommen unterlegen, aber das würde diese entschlossenen, engagierten Männer nicht einen Augenblick davon abhalten, sich an die Verfolgung zu machen. Die Gegner hatten automatische Waffen, die schneller feuerten, als wir nachladen konnten. Sie können sich nicht vorstellen, wie viel Mut das von einem verlangt. Ich hatte eine Pumpgun-Schrotflinte, die schnell und tödlich war und in kürzestem Abstand neun Patronen nacheinander ausspuckte. Unsere Waffen ergänzten sich gut. Die .303 hatte eine größere Reichweite als ein AK, die Pumpgun-Schrotflinte wiederum traf auf kurze Distanz im Busch selten daneben. Vereint konnten sie den illegalen AK-47-Maschinenpistolen, die bei den Wilderern so beliebt waren, durchaus Paroli bieten. »Nehmt euer eigenes Wasser mit und lasst die Waffen gesichert. Auf geht’s!« Wir würden im dichten Busch so schnell fahren, wie wir konnten. Ich wollte nicht, dass sich bei dem Gerüttel aus Versehen ein Schuss löste und einen Wildhüter tötete. Die Verfolgungsjagd war anstrengend. Mitten am Vormittag kämpften wir uns auf kaum noch erkennbaren Wegen durch den Busch. Die Sonne brannte erbarmungslos herunter, typisch für Zululand. Der Schweiß lief uns übers Gesicht, brannte in den Augen und durchnässte unsere Kleidung. Aber wir waren vollgepumpt mit Adrenalin und ließen uns von der glühenden Sonne nicht abschrecken. Wenn wir jetzt Pause machten, dann wäre selbst die minimale Chance vertan, die wir hatten, um die Kerle noch zu erwischen. Es ist schwer, ruhig zu bleiben, wenn man gesehen hat, dass ein Nashorn brutal abgeschlachtet wurde nur wegen seines Horns, das nur aus Keratin besteht – dem selben Faserprotein, das auch den Hauptbestandteil unserer Haare und Fingernägel bildet. Da ist ruhig bleiben eigentlich unmöglich. Man möchte am liebsten vergehen vor Zorn, doch das nützt auch nichts. Dem Horn des Rhinozeros werden in diversen Ländern Asiens geheimnisvolle medizinische Wirkungen nachgesagt, weswegen es dort zu den traditionellen Heilmitteln zählt. In der klassischen chinesischen Medizin heißt es zum Beispiel, das Horn des Nashorns würde Fieber lindern. Mit dem wachsenden Reichtum in diesen Ländern wuchs auch die Nachfrage nach den Hörnern. Zehntausende Nashörner wurden in Afrika getötet, einige der Unterarten stehen kurz vor der Ausrottung. Diese Nachfrage hat ein Jagdfieber ähnlich dem kalifornischen Goldrausch im neunzehnten Jahrhundert ausgelöst, und das aus verständlichem Grund. Auf den Straßen von China und Vietnam ist eine Unze (ca. dreißig Gramm) Rhinozeroshorn wertvoller als Gold. Wenn Sie wirklich begreifen wollen, wogegen wir Naturschützer hier kämpfen, dann stellen Sie sich einen Wilderer und seinen Blick auf das Nashorn vor: Er sieht hier zwei Hörner aus purem Gold vor sich. Die Wildhüter in unseren Reservaten befinden sich in der wenig beneidenswerten und extrem gefährlichen Situation, dass sie reines Gold vor gierigen Händen beschützen müssen. Was eigentlich sicher in einen Tresor geschlossen werden sollte, läuft hier frei auf vier Beinen durch den Busch. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass jedes Nashorn auf dieser Erde mittlerweile in Lebensgefahr schwebt. Wenn sich nicht grundlegend etwas ändert, und zwar schnell, dann wird bald das letzte Rhinozeros auf diesem Planeten den Tod gefunden haben. Wir fuhren so schnell wir konnten, hielten zwischendrin immer wieder Ausschau nach den Spuren der Wilderer – Fußabdrücke, Stellen, wo das Gras niedergedrückt war, ein markierter Baum, Blutflecken, die vermutlich von den Hörnern stammten, die die Wilderer in einem Jutesack mit sich trugen. Zeichen, die zeigten, dass wir auf der richtigen Fährte waren, verliehen uns das nötige Durchhaltevermögen. Bheki ermahnte uns immer wieder zur Eile. Simelane, der junge Ranger, der das tote Nashorn gefunden hatte, bereitete mir jedoch Sorgen. Zweimal lief er allein in den Busch, als er falschen Spuren...


Der Umweltschützer Lawrence Anthony war Gründer der Earth Organization. Für seine Arbeit wurde er mit dem Earth-Day-Award der Vereinten Nationen ausgezeichnet. Er lebte im südafrikanischen Zululand. Nach seinem Tod im März 2012 kamen viele Elefanten zum Abschied an sein Haus und erwiesen ihm somit die letzte Ehre.

Graham Spence ist Journalist. Er lebt in England.



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