E-Book, Deutsch, 190 Seiten
Perspektiven und Ansätze aus multiprofessioneller Sicht
E-Book, Deutsch, 190 Seiten
ISBN: 978-3-17-036250-5
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Statt eines Vorworts – ein Dialog
zwischen Johanna Anneser und Eckhard Frick Eckhard Frick: Psychosomatische und Palliative Medizin seien Geschwister, sagt Peter Henningsen. Wo ist denn da der Familienzusammenhalt, um welches Thema geht es in dieser Familie? Johanna Anneser: Geschwister sind manchmal ähnlicher, manchmal verschiedener. Sie verstehen sich oft unterschiedlich gut, manchmal ist es auch ganz harmonisch. Gelegentlich gibt's Auseinandersetzungen. So wird es wahrscheinlich auch mit der Geschwisterschaft zwischen medizinischen Fachrichtungen sein. Wie ist das nun bei Psychosomatischer Medizin und Palliativmedizin? Ich glaube, der wesentliche Punkt, der »Familienzusammenhalt« ist, dass sich beide Fachrichtungen bemühen, den Menschen – um jetzt psychosomatisch zu sprechen – in seinem bio-psycho-sozialen Zusammenhang zu verstehen. Sie versuchen herauszufinden, was er oder sie als Person in einer konkreten Situation und in all diesen unterschiedlichen Aspekten gerade braucht. Gleichzeitig versuchen beide, bei diesem Blick aufs Ganze auch die Details zu beachten – oder wie Cicely Saunders es formuliert hat: attention to detail. Das geht am besten im multi-professionellen Behandlungsteam, wo die Behandler auch aufeinander hören. Eckhard Frick: Dieses berühmte bio-psycho-soziale und vielleicht sogar auch -spirituelle Modell wird ja von wenigen bestritten. Aber was heißt das in der technischen, ökonomischen und organisatorischen Realität so eines High-Tech-Klinikums? Wie lässt sich da Palliative Care implementieren? Johanna Anneser: Der kontroverseste Punkt des bio-psycho-sozialen Modells im High-Tech-orientierten Gesundheitssystem ist vermutlich der soziale Aspekt, der ja das Umfeld des Patienten, die Angehörigen oder Zugehörigen mit einschließt. Hier ist sicher nicht nur in der Palliativmedizin, sondern vor allem in vielen anderen Bereichen noch ein längerer Weg zu gehen. Aber ich glaube, dass es in der Palliativmedizin dazu gute Ansätze gibt, die zum Teil auch vorbildhaft sein könnten. Wenn man die ökonomische Seite ansieht, so gibt es in der Palliativmedizin Abrechnungsziffern, in die Leistungen, die an An- und Zugehörigen erbracht wurden, mit einfließen, beispielsweise Gespräche, die mit diesen geführt werden, erhöhen dann den erzielten Erlös – das ist in vielen anderen Fachbereichen nicht so. Allerdings zweifle ich manchmal daran, ob die Sichtweise eines bio-psycho-sozialen Modells und dessen Bedeutung bei den Kostenträgern schon zur Gänze angekommen ist. Ich erinnere mich an einen Patienten, nach dessen Versterben wir abschließend Gespräche mit den Angehörigen geführt und diese für die Abrechnung auch dokumentiert haben. Diese Leistungen wurden dann von der Krankenkasse gestrichen mit der lapidaren Begründung, dass die Leistungspflicht des Kostenträgers mit dem Tod des Versicherten erlischt. Eckhard Frick: Das Erlöschen der Leistungspflicht mit dem Versterben ist ein auffälliges Stichwort. Spiritualität hat es ja mit Transzendenz zu tun. Unser Menschsein geht auch über solche Grenzen hinweg. Trauer, Erinnerung, Auseinandersetzung mit dem Tod gehören zum Leben. Es scheint in den Kosten-Überlegungen schwer abzubilden zu sein, dass all das zum Leben gehört. Auch die Trauer, gewissermaßen die Nacharbeit und die bleibende Präsenz eines verstorbenen Menschen gehört zu unserem Leben, ist nicht einfach zu Ende mit dem Feststellen des Todes. Johanna Anneser: Ja, ganz genau. Andererseits ist die Bedeutung von Spiritualität und Spiritual Care, wie wir wissen, ja nicht beschränkt auf die Palliativmedizin, sondern hat mit allen Lebens- und Krankheitsphasen und allen medizinischen Fachrichtungen zu tun. Das müsste allerdings erst einmal in die Köpfe, seien es jetzt die der Ärzte, des Pflegepersonals als auch in die Köpfe derer, die die Finanzierung in Händen halten. Vorerst ist aber die Palliativmedizin die einzige Fachrichtung, die spirituelle Bedürfnisse in ihrer Definition aufführt und als integralen Bestandteil betrachtet – so ist es ja auch in der Definition der WHO von »Palliative Care« aufgeführt. Wie das dann im Einzelfall funktioniert, ist natürlich wieder sehr unterschiedlich gelebt. Es gibt da die aktuelle Diskussion der Abrechenbarkeit von spiritueller Begleitung bei Palliativmedizin. Da gab es einige Urteile, die ja sehr positiv waren. Eckhard Frick: Trotz des Rollbacks nach den Urteilen der Sozialgerichte... Johanna Anneser: ... ja: positiv war dann das darauffolgende Engagement der beiden großen Kirchen, die genauso wie wir in der Palliativmedizin in ihrer Stellungnahme sagen: Spiritual Care ist Teil der Behandlung und diejenigen, die diese Leistung erbringen, sind Team-Mitglieder. Dies muss dann auch in die Dokumentation und Abrechnung einfließen können. Was meinst Du: welche Initiativen brauchen wir, damit Spiritual Care besser berücksichtigt wird? Eckhard Frick: Wir haben von spirituellen Bedürfnissen kranker Menschen gesprochen. Die gibt es nicht nur in der Palliativmedizin, wir haben sie z.?B. gerade in einer großen internistisch-chirurgischen Notfallambulanz untersucht (Büssing et al. 2021; Frick et al. 2021). Darüber hinaus müssen wir auch an die spirituellen Bedürfnisse der Mitarbeitenden denken, also an ihre Motivation. Alles, was sie stärkt, was sie an spirituellen Ressourcen mitbringen, selbstverständlich in der ganzen Pluralität, die den Begriff »Spiritualität« ausmacht. Welche Kraftquellen haben Menschen, damit sie diese anstrengenden Berufe ausüben können? Und zwar nicht nur in der Begeisterung der ersten Jahre, sondern ein langes Berufsleben lang. Da denke ich ganz besonders an die Pflege. Pflegenotstand ist nicht nur ein Problem der Finanzen, also der Unterbezahlung der Pflege hierzulande, sondern hängt auch von der Art ab, wie die Pflege eingesetzt wird, wie die persönlichen Ressourcen gefördert werden. Da sind beide Bereiche Vorreiter, sowohl Palliativ- als auch psychosomatische Medizin, wegen des interprofessionellen Charakters und der hohen Bedeutung der Pflege, die keineswegs überall so ist. Der Beitrag könnte sein, auf die Ressourcen der Mitarbeitenden zu schauen und ganz ähnlich wie Cicely Saunders, von der Unit of Care spricht, auf das Caring für die Carers zu achten. Johanna Anneser: Noch ein anderer Punkt: Unsere Klinik heißt ja »für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie«. Was kann denn die Palliativmedizin lernen von der Psychotherapie? Eckhard Frick: Ich denke, in erster Linie das Verstehen von Beziehungen und von Geschichten, von Ereignissen, die sich zwischen Menschen abspielen. Psychotherapie ist ja eine sehr arme Art von Medizin. Wir haben keine Medikamente. Wir können eigentlich nur reden und zuhören. Es gibt zwar auch übende, leiborientierte und kreative Elemente. Aber im Wesentlichen geht es über die Sprache. Also: Welche Ressourcen, welche Probleme bestehen aktuell in der Familie der Patienten und Patientinnen oder aber in ihrer Erinnerung, welche in ihrem Beruf, in ihrem sozialen Umfeld? Was gibt es da zu klären? Wo haben sich vielleicht sogar Störungen gebildet? Im Sinn von Angststörungen oder depressiven Störungen oder auch der sogenannten funktionellen Störungen? Um Verstehen geht es aber auch, wenn eine Patientin oder ein Patient »aus der Beziehung aussteigt«, z.?B. ins Delir rutscht und nicht mehr erreichbar ist. Dann denken viele nur: Jetzt müssen wir Medikamente geben, was natürlich notwendig sein kann. Andererseits: Gerade dann hat auch Psychotherapie eine Chance, wenn wir nichts verstehen, nicht mit dem Anspruch daherkommen, alles zu psychologisieren. In Situationen, wo der zerebrale Zustand gewissermaßen die Führung übernimmt und z.?B. er oder sie nicht mehr in der Lage ist, klar am Gespräch teilzunehmen. Auch das sind wichtige Momente, weil wir auch da das Team unterstützen können und, je nach Krankheitsverlauf den Patienten unterstützen, wieder in die Normalität der Beziehungen zurückzukehren.
Ein wichtiges interdisziplinäres Gebiet ist auch die Sinnsuche kranker Menschen und ihrer Familien und vor allem die Auseinandersetzung mit der Sinnlosigkeit. Das hat einen spirituellen und einen psychotherapeutischen Aspekt, ohne dass man beide Seiten gegeneinander ausspielen darf. Deshalb entwickeln wir jetzt gemeinsam das Projekt »legacy«: Was wollen Sterbende noch erledigen, was wollen sie als Vermächtnis hinterlassen? Welchen Raum und welche Unterstützung brauchen sie dazu? Johanna Anneser: Die »legacy« hat dann schon was mit der Bezogenheit, mit der Relationalität zu denen, die dableiben, zu tun. Gäbe es da nochmal verstärkt eine Rolle für Psychotherapie oder Spiritual Care, was die Angehörigen betrifft? Könnte man sich da vielleicht vorstellen, präventiv zu arbeiten, dass die Menschen mit dem Verlust, der ja dann unvermeidlich auftritt, besser zurechtkommen? Eckhard Frick: Innerhalb der Psychotherapie gibt es familientherapeutische Ansätze, z.?B. die systemische...