E-Book, Deutsch, Band 2, 118 Seiten
Reihe: Peter und der Prof
E-Book, Deutsch, Band 2, 118 Seiten
Reihe: Peter und der Prof
ISBN: 978-3-942822-64-0
Verlag: HEY Publishing GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
»Hallo?« Es war Lenas Stimme, kein Zweifel. Aber seit unserem letzten Gespräch war etwas mit ihrer Stimme passiert. Etwas, von dem sich mein Bauch verkrampfte, das mir Angst machte.
»Peter? Bist du das, Peter?« Ihre Stimme war bleischwer. Schwer und nuschelnd.
»Ja. Stimmt was nicht?«
»Stimmt was nicht? Wieso denn?«
»Weiß nicht. Du hörst dich so fertig an.«
»Alles klar. Wollte bloß …«
Sie verschwand.
Nach ihrem letzten gemeinsamen Abenteuer haben Peter und der Prof mit Schulschläger Filla Frieden geschlossen, Kopfzerbrechen bereitet er ihnen jedoch nach wie vor. Filla lebt im Jungenwohnheim »Hoffnung« – besser gesagt: lebte! Nachdem er und sein Kumpel Stein die Küche des Wohnheims kurz und klein geschlagen haben, ist er abgehauen und untergetaucht. Bereits in der Vergangenheit hatte Filla Drogenprobleme, und es steht zu befürchten, dass er rückfällig geworden ist. Als Peter und der Prof der Sache nachgehen, wird ihnen klar, dass die beiden Jungen Gründe für den Amoklauf gehabt haben müssen. Nur welche?
Peter indes beschäftigt ein zusätzliches Problem: Die Begegnung mit einem wundervollen Mädchen weckt in ihm neue, bisher unbekannte Gefühle. Und in Lenas Leben scheint einiges schief zu laufen …
»Endstation Hauptbahnhof« ist der zweite Band der Jugendkrimi-Reihe Peter und der Prof – alle Macht den Freunden!
Aus dem Norwegischen übersetzt von Gabriele Haefs.
Autoren/Hrsg.
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Ein Spieler steht mit dem Rücken zur Wand
Als ich fünf Jahre alt war, überredete mich mein Vater einmal zu einer Partie Mensch-ärgere-dich-nicht. Er wusste nicht, was er tat. Denn seit damals bin ich total scharf auf Spiele. Ich spiele einfach alles. Monopoly, Scrabble, Scotland Yard, Domino, Schach. Beim Schach werd ich von meinem Kumpel, dem Prof, allerdings immer gründlich fertig gemacht. Der Prof wohnt einen Stock unter mir. Aber an seinem Spitznamen kannst du ja schon sehen, dass er fast überall der totale Prof ist. Ein Überflieger in der Schule und auch sonst ein unverzichtbarer Begleiter. Aber an diesem Tag war der Prof weit weg und ich hatte gerade am Flipper in so einem Loch in der Innenstadt von Oslo fünfundsiebzig Eier verspielt. Ich hatte ganz einfach den Kopf verloren, wie man sagt. Das klingt vielleicht nicht so gefährlich. Aber die fünfundsiebzig Kronen waren genau die Hälfte von dem Geld, das mir Mutter mitgegeben hatte. Ich sollte mir nämlich neue Jeans kaufen, weil ein Laden gerade Ausverkauf machte. Und eins muss ich ganz glasklar stellen, wo ich schon dabei bin. Meine Familie hat keine Notenpresse im Keller stehen! Wir haben ganz einfach wenig Kohle. Mutter verkauft in einem Theater Eintrittskarten und Vater wuselt mit Haaren bis zum Hintern herum und hält sich für einen Künstler. Fast immer ist er abgebrannt wie eine Kirchenmaus. Deshalb war das einfach kritisch, um mich schonend auszudrücken. Natürlich hatte ich auch ein schlechtes Gewissen, wusste verdammt gut, dass Mutter sich für diese Eier abgeplackt hatte, mürrischen Leuten Eintrittskarten verkauft, die einen Blick auf Ibsen, Shakespeare und diesen Kram werfen wollen. Sie hatte mich in diesem Monat sogar meiner kleinen Schwester My vorgezogen. Hatte gedacht, eine neue Schulhose für mich wäre wichtiger als ein neuer Overall, den My im Kindergarten kaputtmachen könnte. Ich kann schon sagen, ich kam mir wirklich nicht wie ein Held vor, als ich die verdammte Stahlkugel anglotzte, die sich an einer gemalten Dame vorbei schlich und in ihrem Loch verschwand. Vom Wetter war an dem Tag auch nichts Gutes zu melden. Es war Ende November und gerade der Monat ist in Oslo genauso schlimm wie überall sonst im Land. Es war fünf Uhr nachmittags und der Schneeregen kam waagerecht vom Fjord hereingetrieben, während der Himmel über dem Postgirogebäude und dem Hauptbahnhof voller drohender Wolken hing, schwarz wie ein Kohlenkeller. Ein böser Geist, der sich jederzeit auf die Straßen stürzen und in seiner Wut alles zerstören könnte. Und als ich eine Ladung frisch aufgewühlten Schnee in die Visage kriegte, dachte ich, der böse Geist wäre vielleicht schon gelandet, vielleicht schlugen seine Klauen so gewaltig zu und kratzten mich noch unter dem Schal. Also nein. Abergläubisch bin ich nicht. Aber ich musste mir die Sache wirklich gründlich überlegen. Mir eine Erklärung für Mutter aus den Fingern saugen. Und Peter Pettersen, das bin ich, kann am besten denken, wenn er hinter einer Cola und einem Hamburger in einem Imbiss sitzt. Deshalb ging ich in den Burger King unten auf Karl Johan. Dort saßen massenhaft Leute. Es waren noch mehr von schlechtem Gewissen und bösen Geistern hereingejagt worden. Ich bestellte das oben Erwähnte und fand einen nicht ganz überfüllten Tisch. Zwei Pakistaner in meinem Alter tranken Kaffee und redeten in rasantem Tempo auf Urdu, und eine Frau mit noch mehr Pickeln im Gesicht als ich trank Cola und glotzte in die Luft. Das war eine Gesellschaft, die mir ausgezeichnet passte. Aber bloß dadurch, dass die Leute am Tisch nicht von der Nervsorte waren, wurde die Situation natürlich nicht im Geringsten verbessert. Was zum Henker sollte ich Mutter erzählen? Dass ich ausgeraubt worden wäre? Das wäre nun wirklich zu blöd. Ich meine, Leute, die Überfälle begehen, interessieren sich nun wirklich nicht für Fünfzehnjährige. Schließlich latschen wir selten durch die Gegend mit den Taschen voll Knete. Das Beste wäre vielleicht ganz einfach die Wahrheit zu sagen und dann die Schuld auf Vater und sein verdammtes Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel zu schieben. Aber diese Lösung gefiel mir auch nicht besonders. Ich bin wahrscheinlich nicht besser als die meisten anderen, stell ich mir vor. Aber mein Bauch verkrampfte sich total bei dem Gedanken daran, wie weh ihr die grausame Wahrheit tun würde. Außerdem wäre es ja trotz allem ein wenig zu krass, Vater auch noch mit hineinzureißen. Seitdem er vor ein paar Wochen aus einem Lagerjob gefeuert worden war, weil er morgens einfach nicht hochkam, hatte er ziemlich den Schnabel hängen lassen. Ich spielte mit dem Gedanken, den Prof anzurufen und zu fragen, ob er mir ein paar Mäuse leihen könnte, aber den Gedanken konnte ich gleich vergessen. Er hatte mittags, als wir aus der Schule kamen, versucht mich um einen Zehner anzuhauen. Mit anderen Worten: Die Situation war schwarz wie Tinte. Mitten in der Cola sah ich Lena zum ersten Mal. In dem Moment hatte ich natürlich keinen Schimmer davon, dass die langbeinige Frau, die zur Tür hereinkam, Lena hieß, aber das spielte ja auch keine Rolle. Die Hauptsache war, dass mein Herz ein höheres Tempo einlegte, um es mal so zu sagen. Toll war sie! Grandios! Schon aus weiter Entfernung konnte ich sehen, dass sie blaue Augen von der schrägen Sorte hatte, die irgendwie ein bisschen chinesisch wirkten, und dass ihre glänzenden dunklen Haare über den Kragen auf ihre Daunenjacke flössen. Ich dachte, sie wäre vielleicht so alt wie ich oder ein bisschen älter, und phantasierte natürlich schon von ihr, ehe sie den Tresen erreicht hatte. Die Tante vom Prof ist Christin. Sie glaubt an Wunder und solchen Kram. Seltsame Sachen, die irgendwie einfach passieren. Weiß nicht, was ich davon halten soll. Aber fest steht jedenfalls, dass ich einem Wunder nie näher gekommen bin als an diesem Tag bei Burger King. Denn wie in einem wilden Wunschtraum erhob sich die Frau mit den ganzen Pickeln und machte die Bahn frei. Und kaum war sie verschwunden, da glitt die tolle Frau auf ihren Platz ohne die Pakistaner oder mich zu fragen. Ich versuchte mir einzureden, dass ich wirklich keinen Grund hätte, mir jetzt ganz toll vorzukommen, denn im Moment war im Imbiss wirklich kein anderer Platz frei, aber vielleicht ist das bei Wundern ja immer so. Und apropos Pickel: Über Nacht hatte ich mir ein solides Exemplar zugelegt. Einen von der Sorte, die nie so ganz zum Vorschein kommen und die stattdessen bedrohlich, rot und fies von unten gegen die Nasenhaut drücken. Aber na ja. Es wäre wohl auch zu viel verlangt, dass das Wunder zack meinen Pickel wegzauberte. Bei Frauen bin ich immer stockblöd. Hab in einer Zeitschrift gelesen, dass das am Alter liegt, aber ich weiß nicht so recht, was ich davon halten soll. Jedenfalls konnte mir die Zeitschrift in diesem Moment überhaupt nicht helfen. Wenn ich nicht so doof wäre, hätte ich natürlich etwas Kluges von mir gegeben. Irgendwas, was gleichzeitig witzig und ein bisschen tiefsinnig war. Aber mein Gehirn war so leer wie Vaters Geldbeutel. Ich konnte ja schließlich nicht damit rausplatzen, wie toll ich sie fand - das wäre einen Tick zu aufdringlich gewesen. Eine Frau mit dem Aussehen hatte diesen Spruch auch bestimmt schon so oft serviert bekommen, dass sie ihn restlos satt hatte. Sie warf Pommes ein und trank Cola und schien an Schmeicheleien von mir oder sonst wem nicht das geringste Interesse zu haben. Aber als sie fertig war, fischte sie eine Zigarette aus der Tasche und sah mich mit ihren chinesischen Veilchen so an, dass mir glatt schwindlig wurde. »Hast du Feuer?« Was bin ich für ein Idiot, dachte ich, was bin ich für ein Idiot, dass ich kein Feuerzeug bei mir habe, obwohl ich nicht rauche! So ein Feuerzeug ist doch immer nützlich, oder? Im Wald könnte ich damit Feuer machen, sogar noch, wenn das Holz ein bisschen feucht ist. Ich könnte das Dreckspapier im Hinterhof verbrennen. Oder ich könnte ganz einfach tollen Frauen Feuer geben. »Sorry«, sagte ich. »Ich rauch nicht.« Das »sorry« war mir gut gelungen, fand ich. »Sorry« ist so ein Wort, das irgendwie lässig aus dem linken Mundwinkel flutscht. Aber ich ärgerte mich, dass ich nicht mit dem Rauchen angefangen hatte, wie andere in meiner Klasse. Von mir aus konnte das so ungesund sein, wie es lustig war. Ich hatte das ekelhafte Gefühl, dass sie mich für das totale Wickelkind hielt. Einer der Pakistaner gab ihr mit einem roten Bic Feuer. Grinste sie mit unerträglich weißen Zähnen an. Und in seiner Visage gab es natürlich auch nicht die geringste Andeutung von so einem verdammten Pickel! Ich fand, diese Heinis sollten sich gefälligst verpissen, und zwar sofort. Sie hatten ihren Kaffee doch schon vor Ewigkeiten getrunken. »Meine Fresse, was für ein Mistwetter!«, rutschte es aus mir heraus. Hatte wohl einen unterbewussten Wunsch, solchen Blödsinn zu vermeiden. Doch. Da stimmte sie mir zu. »Letztes Jahr um diese Zeit war ich auf Mallorca. Das war echt was anderes«, sagte sie lässig. Himmel, dachte ich, es klappt, Peter! Aber ich nicht rauchender Trottel war natürlich noch nie auf Mallorca gewesen. Ein kurzer Ausflug mit der Fähre nach Dänemark - und da hast du Peter Pettersens Auslandserfahrungen in einer Nussschale. »Hab gehört, da soll's schön sein«, sagte ich. »Ich war kurz vor Weihnachten auf Beri.« »Auf Beri?« Ein kleiner Unterton von Neugier hatte sich jetzt in ihre Stimme eingeschlichen. Ich nickte. »Ja, auf Beri.« »Nie von gehört. Wo liegt das denn?« Ja, wo zum Henker konnte Beri wohl liegen? Vor ein paar Sekunden hatte ich ja...