Ambjørnsen | Aus dem Feuer | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Ambjørnsen Aus dem Feuer


1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-96054-013-7
Verlag: Edition Nautilus GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-96054-013-7
Verlag: Edition Nautilus GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der norwegische Bestsellerautor Ingvar Ambjørnsen schreibt über Liebe, Schuld und Scham des norwegischen Bestsellerautors Alexander Irgens – eine Persiflage auf den Literaturbetrieb von dostojewskihafter Dimension!

Dieser Roman ist ein Wunder: eine schräge Satire auf den Literaturbetrieb, eine traurige Liebesgeschichte, lyrische Naturprosa – und das immer dunkler werdende Porträt eines Mannes, der sich durch Scham und Verdrängung tiefer und tiefer in seine Schuld verstrickt.

Alexander Irgens, Norwegens Krimikönig, sind offenbar sowohl der Erfolg als auch der Alkohol zu Kopf gestiegen, als er und seine Geliebte Vilde nach einem opulenten Dinner mit elf Buchhändlerinnen in Lillehammer einen zudringlichen Fan krankenhausreif schlagen. Plötzlich will die Presse ihn nicht mehr zu seinem gerade erschienenen Roman befragen, sondern interessiert sich vor allem für den Skandal. Irgens lässt Vilde und auch seine Ehefrau Ada nach dem Tod ihrer Mutter zurück und unternimmt eine Buchvorstellungstournee in Island und Deutschland, die eher eine Flucht ist, auch eine Flucht vor sich selbst.

Vom Erfolg korrumpiert, wird er von Ada und Vilde verlassen, sein Sohn kehrt sich von ihm ab. Gerade, als Irgens durch dieses Feuer geläutert scheint und im Begriff ist, eine Heimat zu finden und zudem mit dem größten Preis der Kriminalliteratur geehrt zu werden, holt ihn seine Vergangenheit ein. Und dieser Roman wird selbst zum Krimi …

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Weitere Infos & Material


Teil I
1
Vilde
Im Schilf liegt eine tote Krickente. Genauer gesagt ein Krickerpel. Das Sonnenlicht lässt das grüne Feld um die Augen leuchten wie blankes Metall. Das mir zugekehrte Auge ist geborsten. Winzige Fliegen krabbeln durch die Federpracht. Drehen kleine Pirouetten. Lassen sich abermals nieder. Um den Hals, als feste Schlinge – eine blaue Angelschnur, die sich tief in den dunklen Abgrund beim Anleger hinunterzieht. Das Bild des toten Vogels erinnert mich an etwas. An etwas von vor langer Zeit. Ich kann es nicht an die Oberfläche holen. Ich habe es nur kurz zu heben versucht, dann habe ich aufgegeben. Es spielt keine Rolle. Ein Traum. Etwas, das ich gelesen habe. Eine Bagatelle. Es ist Samstag, der 2. Oktober. Herbst. Trotzdem fast Sommer. Der ganze Wald summt vor Insekten, wie es Ende Juli oft der Fall ist. Ich sitze in Hemdsärmeln da, auf einem alten Sägebock, den irgendwer angebracht hat, seit ich zuletzt hier war. Die Wespen gehen im Heidekraut Streife; sie sind in diesem Jahr klein und ziemlich friedlich; dieses Phänomen ist mir schon längst aufgefallen. Ich sitze zu Hause in Majorstua auf dem Balkon und frühstücke, mit Ei und Marmelade, den ganzen Spätsommer hindurch, ohne von den Schwarzen und Gelben gestört zu werden. Sie sind da, aber sie lassen sich vom Winde verwehen. Hier im Wald ignorieren sie den Menschenmann vollständig, sie wimmeln im Heidekraut umher und gleiten seitlich über das Wasser oder zwischen die Kiefernstämme. Um diese Jahreszeit sind sie heimatlos. Bald werden sie sterben. Ja. Ein Sommer, der die Landschaft nicht loslassen will. Der sich in einen anderen Raum erstreckt als den, der ihm gehört. Das sind so meine Gedanken. Es ist heiß. Das Hemd klebt mir am Rücken. Ich bin vom Auto her fünfzig Meter hier heraus auf die Landspitze gegangen. Ich bin triefnass. Aber Luft und Licht gehören dem Oktober, wie ich ihn aus früheren Jahren kenne, so weit ich mich zurückerinnern kann. Der blaue klare Herbsthimmel und das Sonnenlicht, das durch die farbenfrohen Baumwipfel sickert. Der große Laubfall hat noch nicht eingesetzt. Noch ist der Waldboden nackt. Das Gras steht grün an den Hängen. Noch hängen die Farben an den Zweigen, Milliarden, Myriaden von wehenden Wimpeln in Gold, Rot, Braun und Orange, in allen Schattierungen. Und das klare Licht fällt zwischen sie und durch sie und malt wundersame Schattentänze auf Pfade und Wege. Wo jemand geht oder niemand kommt. Der Wasserspiegel ist in zwei Hälften geteilt. Einen leuchtendblauen Teil, einen Himmelsspiegel. Und einen, der schwarz und glänzend ist wie Öl. Der im Schatten des hohen Waldes unter dem Steilhang im Osten ruht. Jetzt schwimmt sie hinaus aus ihrem Leben und hinein nach Mordor. Ich sitze hier. Ich sage nichts. Ich bin nicht so leicht zu bewegen. Ich sitze hier und denke, so ist sie. Von Licht zu Schatten, in Sekundenschnelle. Es ist, als werde ihr Körper in einer Art Fixierbad entwickelt, wenn sie in die Dunkelheit hineingleitet. Im Sonnenlicht sehe ich nur ihren Kopf über dem glitzernden Wasserspiegel. Und die Haare, die in ihrem Kielwasser treiben. Im tiefen Schatten leuchtet ihr Körper unter der Wasseroberfläche fast weiß. Er wirkt fast selbstleuchtend. Die ruhigen Armbewegungen. Der Rücken. Die Hüften und die starken Beine beim Abstoßen. Sie dreht sich auf den Rücken. Winkt. »Komm doch!« Unter der toten Ente ist feiner Sandboden. Fast wie feinkörniges Gold im Sonnenlicht. Das dünne Schilf ragt wie grüne Trinkhalme aus dem Sand. Zwei Meter vom Land entfernt beginnen Dunkelheit und Modderboden. Die Tiefe. Ungefähr mitten zwischen Strand und Dunkelheit liegt auf dem Grund ein hellblauer Wobbler mit schwarzen und roten Flecken. »Du bist ja vielleicht blöd! Dummer alter Mann!« Sie ist wieder im Licht. Ich halte mir die Hand über die Augen. Hinter ihr, im Geflimmer von Sonne und Herbstfarben, sehe ich zwischen den Bäumen den Umriss des alten Hauses. Das Krähenschloss. Die Türmchen. Die Galerien. Die Glasveranda. Das alte Haus draußen auf dem Felsen. Das mich immer an eine auf Abwege geratene Stabkirche erinnert. Ich habe das Gefühl, den Duft des Teers bis hierher wahrnehmen zu können, aber das ist nur Einbildung. Erinnerungen, die mir einen Streich spielen. Die Erinnerung daran, irgendwann im Hochsommer in der engen Schlafkammer in der Mansarde zu erwachen. Der Mischgeruch von Teer und Kienholz. Der aufgewärmte Staub, der in den Lichtstreifen tanzt, wenn sie sich unter dem undichten Dach kreuz und quer dahinziehen. Und der Winter: Holzfeuer. Tag und Nacht, der kontrollierte Hausbrand. Der Geruch von brennender Birke, den ich ebenfalls mit diesem Ort verbinde. Und von grüner Seife und alter Frau. Vilde erreicht das seichte Wasser und richtet sich auf. Das Licht scheint an ihr hinunter und in den See zu strömen. Sie ist milchweiß und schön, ein lebender Beweis für den schlechten Sommer, der hinter uns liegt. Der jetzt blüht, obwohl eigentlich Herbst ist. Ihre kleinen Füße in dem hellen Sand. Rote Zehennägel. »Bleib ganz still stehen«, sage ich. »Beweg dich nicht!« »Gib mir das Hemd! Sonst frier ich mich zu Tode!« Plötzliche Windrosen, die sie einhüllen. Ich stehe auf und greife nach dem rot karierten Holzfällerhemd, das sie ins Heidekraut geschleudert hat. Werfe es ihr zu. Ihre Brustwarzen stehen hervor wie harte Knoten. Sie streift fröstelnd das viel zu große Hemd über. »Nur noch einen Moment«, sage ich. »Weil du das Schönste auf der Welt bist.« Sie gibt keine Antwort. Sie steht da und mustert mich mit diesem seltsamen, intensiven Blick. Ich kann mitten in der Nacht aufwachen, mit der Gewissheit, dass sie hinter meinem Rücken liegt und mich betrachtet. Dass sie daliegt und meinen Hinterkopf ansieht. Oder meine Ohren. Ab und zu nagt sie mit kleinen spitzen Zähnen an mir. »Sehe ich aus wie ein Playboy-Model? Machen die nicht solche Bilder? Offenes Hemd und nackter Hintern?« »Nein«, sage ich. »So ist das nicht.« »Als ich in den Schatten auf der anderen Seite gekommen bin, wurde es eiskalt. Ich hatte Angst vor einem Krampf. Und dann dachte ich, dass ich keinen Grund hätte, auf dich zu zählen, falls irgendwas passiert. Das war scheußlich.« »Ich finde, du solltest deinen Biber in Ruhe lassen«, sage ich. »Du siehst aus wie eine Fünfjährige.« Sie watet ans Ufer. Ich schmiege die Wange an ihren Bauch und lege meine Hände auf ihre eiskalten Hinterbacken. Streichele ihre Oberschenkel. »Wer wohnt in dem alten Haus da?«, fragt sie. »Dem da draußen auf der Insel?« Ihre Hände in meinen Haaren. Ich wärme die Innenseite ihrer Oberschenkel. Bis in die weichen Falten, bei denen ich an Stute denken muss, Pferd. Sie presst meinen Kopf an sich. »Ich habe keine Ahnung. Woher soll ich das wissen?« »Weil du hier zu Hause bist. Ich merke doch, dass du hier zu Hause bist.« Ich öffne sie vorsichtig. Nur zu Besuch. Für einen Moment. »Vielleicht steht es leer.« »Nein. Denn das ist verboten. Das geht nicht. Das ist gegen das Gesetz.« Sie ist warm und glatt. Ich lasse langsam zwei Finger in ihr steigen. Ich kann hören, wie ihr Atem sich mit dem Summen der Insekten mischt. »Ein junger starker Mann«, sagte sie. »Einer, der ein bisschen grausam und wunderbar ist. Der wohnt da.« »Na gut. Aber er war einsam, als wir gekommen sind. Und jetzt sieht er uns und zerbricht.« »Ich bringe es nicht übers Herz, ihm mehr als das hier zu geben.« Aber dann stellt es sich heraus, dass wir beide herzlos sind. Und die ganze Zeit denke ich, dass Kolla auf der Glasveranda steht und uns ansieht, in ihrem verwaschenen Morgenrock, die mageren Füße in den karierten Pantoffeln ihres verstorbenen Mannes. Dass sie dort steht und uns durch das riesige russische Fernglas beobachtet, mit dem sie sonst dem Treiben der Vögel im Wald und auf dem Wasser zusieht. Jetzt bekommt sie einen Kampfläufer und einen weißen Schwan vor die Linse. Im Auto herrscht eine Bruthitze. Wir reißen beide Türen auf und stehen zum Rauchen draußen. »Du hattest eine Plastiktüte, oder?« Sie: »Was?« »Eine Plastiktüte.« Sie öffnet die Tür zur Rückbank. Wühlt. Plastik knittert. Dann steht sie da mit einem roten Oberteil und einer leeren Plastiktüte von H&M. »Was willst du damit?« »Steig ein.« Ich nehme die Plastiktüte und gehe wieder auf die Landspitze. Wate hinaus ins Schilf und hebe die Krickente auf. Und auch den Wobbler. Hänge ihn an meine Hemdentasche. Werfe die Tüte in den Kofferraum. »Was ist das denn da?« »Ein Wobbler.« Ich hänge ihn an...


Ingvar Ambjørnsen, geb. 1956 in Tønsberg, Norwegens kneipenreichster Stadt, aufgewachsen in Larvik. Nicht vollendete Gärtnerlehre und mancherlei Jobs in Industrie und Psychiatrie. Erste Buchveröffentlichung 1981: 23-salen, seitdem zahlreiche Romane, Welterfolg mit den Elling-Romanen. Lebt seit 1985 in Hamburg. Bei Edition Nautilus erschienen zuerst der autobiografische Roman Weiße Nigger und zuletzt der Roman Die Nacht träumt vom Tag. Ingvar Ambjørnsen wurde mit dem Willy-Brandt-Preis 2012 ausgezeichnet.



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