E-Book, Deutsch, Band 6, 208 Seiten
Reihe: Paula und Lou
E-Book, Deutsch, Band 6, 208 Seiten
Reihe: Paula und Lou
ISBN: 978-3-7607-8645-2
Verlag: arsEdition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Judith Allert wurde 1982 geboren. Seit sie alle Buchstaben gelernt hat, versteckt sie sich sehr gerne und ausdauernd zwischen zwei Buchdeckeln. Während sie in Bayreuth Neuere Deutsche Literaturwissenschaft studierte, veröffentlichte sie ihre ersten Kinderbücher. Heute lebt Judith Allert mit ihrem Mann, Hunden, Katzen, Pferden und Wollschweinen auf einem alten Bauernhof in der oberfränkischen Pampa, wo sie sich beim Unkrautzupfen neue Geschichten ausdenken kann.
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2.Kapitel,
in dem ein Sarg für Reibereien sorgt, der Zusammenhang von Ärger und Käsekuchen erklärt wird und ein Überfall auf den Briefträger stattfindet
In der Sternstraße mit der Nummer 7 wurden Paula und Lou von Kastanienmusik empfangen. Außerdem von einem herrlichen Duft. Emma und Johann trugen eine dampfende Schüssel nach der anderen aus dem in den Hinterhof. Schon immer traf man sich in dem Antiquitätenladen gerne auf Kaffee und Kuchen und zum Schnacken – deshalb auch der Spitzname. Seit das Familienhotel im Hinterhaus eröffnet hatte, kümmerten sich die Trödelhändler zusätzlich um die leeren Mägen der Hotelgäste – und um die der Sterne natürlich, so nannten sich die Bewohner der Sternstraße.
»Herbst-Buffet«, verkündete Emma. »Kürbissuppe, dazu Kürbis-Walnuss-Salat und Kürbisauflauf. Als Nachtisch Pfannkuchen mit süßem Kürbismus.«
»Ich habe schon acht Kürbisse geerntet.« Johann deutete an das andere Ende des Hinterhofs, wo er seinen Gemüsegarten angelegt hatte.
»Wächst wie Unkraut«, sagte Emma.
»Leckeres Unkraut«, schmatzte Lou, die ihren Finger in die Suppe getaucht (und abgeleckt) hatte.
»Dann steigt bald eine Halloween-Party!«, rief Paula. »Mit Leuchtkürbissen!«
»Aber diesmal mit anderen Kostümen«, bestimmte Lou.
Im Winter hatte es zu Karneval eine Gespensterparty im alten Hotel gegeben – mit allen Sternen als Geister und Zombies. Da waren Lou und Ronja gerade erst in die Sternstraße gezogen. Bei dieser Feier hatte Ronja auch entschieden, das alte Hotel zu behalten – und sich ganz nebenbei in Lukas verknallt. (So weit die Kurzform – in Wahrheit war alles viel komplizierter!)
»Nimmst du mal?« Emma drückte Paula erst zwei Topflappen und dann die Auflaufform in die Hände (etwa badewannengroß). »Einfach auf das da stellen.« Bei den Worten deutete Emma abschätzig auf einen langen, eckigen Holzkasten. Sie hatte zwar eine bunte Häkeldecke (Grund-Farbton: Herbstgoldschimmer) daraufgelegt, aber was der lange, eckige Holzkasten darstellte, war trotzdem nicht zu übersehen.
»Das ist ja ein Sarg!«, riefen Paula und Lou gleichzeitig.
Allerdings war es bei Paula ein: »Ist ja cool, ein echter Sarg!«, bei Lou dagegen ein: »Igitt, das ist aber kein echter Sarg, oder?«
An Emmas verkniffenem Blick war zu erkennen, dass sie eher Lous Meinung teilte.
»Leider ja«, seufzte sie, und ihr Ehegatte kassierte ein vorwurfsvolles Stirnrunzeln. »Und ich würde mich freuen, wenn er bald wieder aus meinem Blickfeld verschwinden würde!«
Johann wischte mit seiner Zeigefingerspitze behutsam ein Staubkorn von der Sargkante.
»Das ist ein ganz besonderer Sarg«, rechtfertigte er sich und schob sich die Ringelmütze aus der Stirn. (Emma hatte sie ihm zum 30.Hochzeitstag gestrickt, wegen seiner empfindlichen Ohren.) »Er gehörte einst einem transsilvanischen Vampir. Das alte Ding wurde ihm zu eng und er musste sich nach etwas Bequemerem umsehen.«
»Wieso zu eng?«, wunderte sich Paula.
»Aufgrund eines traumatischen Erlebnisses konnte er kein Blut mehr sehen. Er wurde Vegetarier, und weil er Gemüse nicht ausstehen konnte, gab es ab sofort nur noch Kartoffeln, Weißbrot und Nudeln. Das ging auf die Hüften.« Johann war weit über die Sternstraße hinaus bekannt für seine Geschichten. Zu allem, was man im kaufte, gab es eine gratis dazu. Wie viel man davon glaubte, war jedem selbst überlassen. Und was Lou anging, war das in diesem Fall null Komma null Prozent.
»Na klar, und meine Großtante heißt Draculine!«, kicherte sie.
Paula hätte die Geschichte gerne geglaubt. Sie liebte alles, was gruselig, spannend und ungewöhnlich war. Deshalb hatte sie auch längst die Schüsseln abgeräumt, das Häkeldeckchen heruntergewischt und den Deckel des Sargs geöffnet.
»Der hat ja keinen Boden!«, rief sie nun.
Johann zwinkerte ihr zu. »Da siehst du mal, schwer der Vampir wurde. Da ist glatt der Boden durchgebrochen!«
»Hör doch auf, die Mädchen zu ärgern«, mischte sich Emma ein. »Ein alter Schulfreund von Johann ist Leichenbestatter. Wegen dem fehlenden Boden hat er den Sarg zum Sonderpreis verkauft.«
»Ein Schnäppchen«, gab Johann begeistert zu. Schnäppchenjagd war seine große Leidenschaft. Wenn er sich nicht gerade auf Flohmärkten herumtrieb, stöberte er im Internet oder in Kleinanzeigen nach neuen Schätzen.
»Trotzdem, der Sarg muss weg!«, stellte Emma klar.
»Aber ich mag ihn«, verteidigte sich Johann.
»Ich aber nicht!«, beharrte Emma.
Obwohl Johann ein Gentleman war und stets stolz auf seine guten Manieren, zog er eine beleidigte Schnute.
Die Tür des auf der anderen Seite des Hofes öffnete sich. Vor ein paar Monaten war das Hotel noch eine wackelige Bruchbude gewesen. Bestens geeignet zur Gespensterjagd. Nun hatte es außen einen brombeerfarbenen Anstrich und innen gab es bergeweise Spielzeug, eine Leseecke und oben auf dem Dachboden einen richtigen Spielplatz.
»Familienhotel Sternchen wie kann ich Ihnen helfen Muhackl jetzt nicht Emma könntest du bitte ein paar Nudeln extra ohne alles ein Zimmer für zwei Personen aber gerne!«
Aus der Tür kam Ronja, Lous Mutter, und redete ohne Punkt und Komma. Sie wurde auch Super-Ronja genannt, weil sie immer alles im Griff hatte und am liebsten drei Dinge gleichzeitig erledigte. So wie jetzt: Am Ohr hatte sie das Telefon, an ihrem Bauch hatte sie Muhackls Pfoten, die sie mit der freien Hand abwehrte, und…»Da war doch noch was«, überlegte Ronja. »Entschuldigung ich meine nicht Sie vielen Dank ich schreibe es gleich in meinen Kalender auf Wiederhören.« Grübelnd legte Ronja den Telefonhörer an die Lippen. »Irgendetwas habe ich vergessen… «
»Ganz genau«, sagte Johann, lotste Ronja Richtung Sarg und rückte ihr einen Stuhl unter den Po. »Jetzt ist Mittagspause! Oder willst du auch im Krankenhaus landen?«
Emma nickte: »Nicht mehr lange, und du bist genauso überarbeitet, wie ich es vor ein paar Wochen war!«
Damals hatte die sonst so herzliche Emma einen mordsmäßigen Wutanfall gekriegt (an dem Paula und Lou nicht ganz unschuldig waren). Dann war sie fast ohnmächtig geworden, und der Arzt hatte festgestellt, dass sie dringend Urlaub brauchte.
»Aber… «, warf Ronja ein, da hatte Emma ihr schon einen Bissen Auflauf in den Mund geschoben.
»Hmmm«, murmelte Ronja genüsslich.
Nach und nach trudelten die anderen Sterne ein und nahmen unter dem Kastanienbaum Platz (wo ihnen ab und an – – eine Kastanie in den Teller fiel). Zuerst Tom und Ben. Die wohnten wie Paula und Lou in der Sternstraße 7 über dem und waren verheiratet. Tom nahm sich reichlich vom Kürbismus und vom Auflauf, Ben türmte Salat auf seinen Teller. Ihre kulinarischen Vorlieben sah man ihnen an. Ben hatte eine Figur wie Superman– Tom wie ein kuscheliger Teddybär.
Dann fehlten noch die Studenten oben aus der Dachgeschosswohnung. Kai und Julius kamen, beide recht zerzaust und mit einer Tasse Kaffee in der Hand, in den Hof. Für sie war noch Frühstückszeit.
»Wir haben die ganze Nacht gepaukt!«, stellte Kai sofort klar. »Von wegen Studenten feiern die ganze Nacht. Alles Vorurteile!«
Und dann schwebte eine glückselige Anna heran, ihren Freund David im Schlepptau. Gerade war Anna ein Semester im Ausland gewesen, weshalb die beiden jetzt doppelt und dreifach turteln mussten.
Schließlich fehlte noch Lukas, Paulas Vater. Der machte bei als Lukas für alles grundsätzlich Überstunden und kam immer zu spät. Die Sterne Laura und Martin waren gerade in Australien auf Verlobungsreise.
»Für wen sind denn jetzt eigentlich die Nudeln ohne alles?«, fragte Emma.
»Bitte erst abkühlen lassen, sonst verbrennen sich unsere Kleinen ihre Schnäbel!«, rief die Frau, die gerade aus dem Hotel kam. Sie war etwas pummelig und trug papageienbunte Kleidung.
Ihr folgte ein Mann. Er trug Kleidung und schob einen großen Käfig auf Rollen vor sich her. Im waren Haustiere willkommen. Meistens waren das Hunde oder Katzen. Manchmal auch nicht.
»Darf ich vorstellen. Herr und Frau Capelloni, Lori und Rudi.« Die Papageien hatten einen grauen Kopf, eine leuchtend gelbe Brust und einen grünen Rücken.
»Was sind denn das für welche?«, fragte Paula.
»Mohrenkopf-Papageien«, erklärte Frau Capelloni. Sie schaute die beiden Vögel mit stolzem Wimpergeklimper an, als hätte sie deren Eier selbst ausgebrütet.
Und dann kam endlich Lukas. Auf Chaos-Lukas-Art bretterte er mit Emmas altem Klapperrad durch das Hoftor, ließ den Drahtesel auf das Pflaster fallen, stürmte auf die Mittagsrunde zu und – hätte in der Hektik beinahe Anna einen Begrüßungskuss gegeben.
»Stopp, falsch!«, schrie die gerade noch und Ronja bekam den wohlverdienten Schmatz.
Als auch Lukas den Teller endlich voll hatte, war der von Ronja schon fast leer. Sehr zum Bedauern von Paula, denn nun kam das, was sie die ganze Zeit über befürchtet hatte.
Paula steckte sich schnell einen Löffel Mus in den Mund und begann kräftig zu kauen. Natürlich...