E-Book, Deutsch, Band 7, 399 Seiten
Reihe: Fandorin ermittelt
Roman
E-Book, Deutsch, Band 7, 399 Seiten
Reihe: Fandorin ermittelt
ISBN: 978-3-8412-0160-7
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
»Ein Hochgenuß ...« Ruth Rendell
»Boris Akunin ist der Meister der russischen Kriminalautoren. Ich habe jeden seiner Romane verschlungen.« Wladimir Kaminer.
Gefeiert als »James Bond und Sherlock Holmes, aber mit russischer Seele« (ARD-Kulturreport), trat Erast Fandorin seinen Siegeszug auch in Deutschland an. Der Gentleman-Detektiv brachte seinem Schöpfer Akunin nicht nur phänomenale Erfolge und riesige Auflagen, sondern steht nunmehr für ein einmaliges literarisches Markenzeichen: ein leichter, intelligenter Mix aus bester russischer Tradition und actionreicher Unterhaltungsliteratur.
Fandorin auf Terroristenjagd: In Moskau und St.Petersburg herrscht politischer Terror. Als General Chaprow einem Attentat zum Opfer fällt, hat Fandorin, inzwischen Staatsrat, schon bald den Mörder ermittelt. Doch all seine Versuche, die Hintermänner dingfest zu machen, kehren sich in eine gnadenlose Jagd auf ihn selbst um. Ein politischer Krimi, der die einzigartige Atmosphäre der russischen Revolutionsbewegung in ihren Anfängen schildert.
Boris Akunin ist das Pseudonym des Moskauer Philologen, Kritikers, Essayisten und Übersetzers Grigori Tschchartischwili (geboren 1956). 1998 veröffentlichte er seine ersten Kriminalromane, die ihn in kürzester Zeit zu einem der meistgelesenen Autoren in Russland machten. Heute genießt er in seiner Heimat geradezu legendäre Popularität. 2001 wurde er dort zum Schriftsteller des Jahres gekürt, seine Bücher wurden in 30 Sprachen übersetzt. »Ich spiele leidenschaftlich gern. Früher habe ich Karten gespielt, dann strategische Computerspiele. Schließlich stellte sich heraus, dass Krimis schreiben noch viel spannender ist als Computerspiele. Meine ersten drei Krimis habe ich zur Entspannung geschrieben ...« Akunin in einem Interview mit der Zeitschrift Ogonjok Mehr Informationen zum Autor unter www.akunin.ru.
Weitere Infos & Material
1;PROLOG;6
2;ERSTES KAPITEL;18
3;ZWEITES KAPITEL;51
4;DRITTES KAPITEL;85
5;VIERTES KAPITEL;120
6;FÜNFTES KAPITEL;142
7;SECHSTES KAPITEL;166
8;SIEBTES KAPITEL;193
9;ACHTES KAPITEL;228
10;NEUNTES KAPITEL;245
11;ZEHNTES KAPITEL;261
12;ELFTES KAPITEL;272
13;ZWÖLFTES KAPITEL;306
14;DREIZEHNTES KAPITEL;321
15;VIERZEHNTES KAPITEL;337
16;FÜNFZEHNTES KAPITEL;347
17;SECHZEHNTES KAPITEL;384
18;EPILOG;394
PROLOG
Die Fenster zur linken Seite waren blind, von Eis und nassem Schnee verklebt. Unentwegt warf der Wind pappige weiche Flocken gegen die kläglich klirrenden Scheiben, rüttelte am schweren Leib des Waggons, ließ nicht ab von dem Versuch, den Zug vom glatten Geleise zu stoßen und wie eine schwarze Schlackwurst über das weite weiße Feld zu rollen, über den zugefrorenen Fluß, die brachen Äcker, geradenwegs bis zum Waldrand, der sich ganz hinten, wo Himmel und Erde zusammenstießen, als vager grauer Streifen abhob.
Diese ganze betrübliche Landschaft konnte man gut durch die rechten Fenster betrachten, welche erstaunlich rein und klar geblieben waren – doch wozu hätte man das tun sollen? Nichts als Schnee, höllisch pfeifender Wind und grauer, tiefhängender Himmel: Trübe, Kälte, Tod.
Um wieviel hübscher war es hier drinnen, im ministerialen Salonwagen: behagliches, von hellblauer Seide getöntes Schummerlicht, das Knacken der brennenden Holzscheite hinter der bronzenen Ofentür, der rhythmisch gegen den Rand des Teeglases klingelnde Löffel. Das Kabinett war nicht groß, doch exquisit eingerichtet: Konferenztisch, Ledersessel, eine Karte des Imperiums an der Wand. So mit fünfzig Werst1 pro Stunde durch den Schneesturm fegend, ließ sich auch einem trüben, kalten Wintermorgen etwas abgewinnen.
In einem der Sessel, bis zum Kinn mit einem schottischen Plaid zugedeckt, schlummerte ein alter Mann mit strengen, herrischen Gesichtszügen. Noch im Schlaf waren seine silbergrauen Brauen gerunzelt, in den Winkeln des unerbittlichen Mundes hatten sich Kummerfalten eingegraben, immer wieder ging ein nervöses Zucken über die furchigen Wangen. Der hin- und herschwingende Lichtkegel der Lampe entriß dem Halbdunkel eine kräftige, auf der Armlehne aus Mahagoni ruhende Hand mit funkelndem Diamantring.
Auf dem Tisch, direkt unter der Lampe, lag ein Stapel Zeitungen. Zuoberst der illegal in Zürich erscheinende , neueste Ausgabe, von vorgestern. Ein Artikel auf dem nach oben gefalteten Teil war mit wütendem Rotstift markiert:
Urplötzlich heulte die Lokomotive auf, so durchdringend, daß es einem in die Glieder fuhr – erst einmal lang, dann mehrmals kurz: »Uuuh! U! U! U!«
Die Lippen des Schlafenden zuckten nervös, ein dumpfes Stöhnen drang zwischen ihnen hervor. Die Augen klappten auf, ein befremdeter Blick huschte erst nach links, zu den hellen Fenstern hin, dann nach rechts zu den dunklen, ehe er endlich scharf wurde und zu verstehen schien. Der finstere Alte warf den Plaid von sich (kurze Samtjacke, weißes Hemd und schwarze Fliege kamen zum Vorschein) und betätigte, die trockenen Lippen bewegend, ein Glöckchen.
Die Tür, die aus dem Kabinett ins Vorzimmer führte, öffnete sich sogleich. Herein flog ein Oberstleutnant, recht jung noch, in blauer Gendarmenuniform mit weißen Achselschnüren, der sich im Laufen den Leibriemen zurechtrückte. »Einen guten Morgen, Hohe Exzellenz!«
»Sind wir schon durch Twer?« fragte der General mit belegter Stimme, ohne den Gruß zu erwidern.
»Zu Befehl, Herr General. Wir sind kurz vor Klin.«
»Schon vor Klin?« Der General in seinem Sessel schien erbost. »Wieso hast du mich nicht früher geweckt? Hast du verschlafen?«
Der Offizier rieb sich die zerknitterte Wange.
»Nicht doch! Ich sah nur, daß Sie eingenickt waren. Gut, daß der Herr General mal ein Auge zutut, hab ich gedacht. Macht ja nichts, zum Waschen, Ankleiden und Teetrinken bleibt genügend Zeit. Noch eine Stunde bis Moskau.«
Der Zug verlangsamte die Fahrt, schien bremsen zu wollen. Draußen tauchten Lichter auf, vereinzelte Straßenlaternen, eingeschneite Dächer.
Der General gähnte.
»Na schön, dann laß schon mal den Samowar aufstellen. Irgendwie will mir das Aufwachen heute schwerfallen.«
Der Oberstleutnant salutierte und trat ab, schloß lautlos hinter sich die Tür.
Das Vorzimmer war hell erleuchtet, es roch nach Likör und Zigarrenrauch. Neben dem Schreibtisch, den Kopf aufgestützt, saß noch ein Offizier: weißblond, rotgesichtig, mit hellen Brauen und Schweinswimpern. Er räkelte sich, daß die Gelenke knackten.
»Na, was sagt er?« fragte er den Oberstleutnant.
»Er will den Tee. Ich gebe Anweisung.«
»Aha«, sagte der Blonde gedehnt und blickte zum Fenster hinaus. »Ist das Klin? Setz dich, Michele. Ich geh und sag Bescheid wegen des Samowars. Muß sowieso mal raus, die Beine vertreten. Kann ich gleich nachschauen, ob die nicht wieder pennen, die Teufel.«
Er stand auf, zog die Uniform straff und ging mit klirrenden Sporen nach nebenan, ins dritte Gelaß dieses Wunders von einem Waggon. Hier war die Möblierung äußerst schlicht: Eine Stuhlreihe längs der Wand, Kleiderhaken und in der Ecke ein kleiner Tisch, darauf Geschirr und der Samowar. Zwei stämmige Männer in identischen Kamelottanzügen (die Schnurrbärte auf gleiche Art hochgezwirbelt, nur daß der eine strohgelb, der andere rotblond war) saßen reglos einander gegenüber. Zwei andere lagen auf zusammengerückten Stühlen und schliefen.
Beim Eintreten des Weißblonden sprangen die beiden Sitzenden auf, doch der Offizier legte den Finger an die Lippen, zeigte auf den Samowar und sprach im Flüsterton: »Tee für Seine Hohe Exzellenz … Mann, ist das hier stickig. Ich geh Luft schnappen.«
Draußen auf der Plattform standen zwei Gendarmen mit Karabinern in Habtachtstellung. Hier war nicht geheizt, so daß die Wachleute Mäntel, Mützen und Kapuzen trugen.
»Noch lange bis zur Ablösung?« fragte der Offizier. Dabei zog er die weißen Handschuhe glatt und spähte auf den langsam vorüberziehenden Bahnsteig hinaus.
»Eben erst angetreten, Euer Wohlgeboren!« schnarrte der Wachhabende. »Jetzt stehen wir’s durch bis Moskau!«
»Ah ja.«
Der Weißblonde drückte die schwere Tür auf; kalter Wind, Ruß und nasser Schnee wehten herein.
»Schon acht, und kaum ein Lichtstreif«, seufzte der Offizier, ohne damit irgendwen anzusprechen, und stieg hinab auf das Trittbrett.
Der Zug fuhr noch, die Bremsen knirschten und quietschten, da kamen schon zwei Männer den Bahnsteig entlang auf den Salonwagen zugeeilt: voraus ein kleinerer mit Laterne, dahinter ein großer, schlanker in Zylinder und elegantem weitem Macintosh mit Pelerine.
»Das hier ist er, der Sonderwagen!« rief der erste (an seiner Mütze als Stationsvorsteher zu erkennen) und wandte sich nach seinem Begleiter um.
Der blieb stehen und fragte, mit einer Hand den Zylinder festhaltend, den vor ihm in der offenen Waggontür stehenden Offizier:
»S-sie sind Modsalewski? Adjutant S-s-… Seiner Hohen Exzellenz?«
Anders als der Eisenbahner hatte der Stotterer nicht gebrüllt; die Stimme war jedoch so klangvoll und gemessen, daß sie mühelos durch den tosenden Sturmwind drang.
»Nein, ich stehe der Wachmannschaft vor«, erwiderte der Weißblonde, während er überlegte, ob das Gesicht des Stutzers ihm bekannt vorkam.
Es war allerdings bemerkenswert: strenge, doch feine Züge, das schwarze Schnurrbärtchen akkurat gestutzt, eine entschlossene senkrechte Furche auf der Stirn.
»Aha, dann also Stabsrottmeister von S-s-… Seydlitz. Angenehm!« sagte der Fremde mit zufriedenem Nicken und säumte nicht, sich seinerseits vorzustellen: »Fandorin, Staatsbeamter im b-b-… besonderen Auftrag Seiner Erlaucht des M-m-… Moskauer Generalgouverneurs. Ich darf annehmen, daß Sie von mir wissen.«
»Jawohl, Herr Staatsrat, wir erhielten die Geheimdepesche, daß Sie für die Sicherheit des Herrn Generals in Moskau zuständig sind. Ich gedachte Sie allerdings erst auf dem dortigen Bahnhof zu treffen. Steigen Sie ein, steigen Sie ein, die Plattform weht sonst ganz voll Schnee!«
Der Staatsrat verabschiedete sich vom Stationsvorsteher mit einem Nicken, erklomm behende die steilen Stufen und schlug die Tür hinter sich zu. Augenblicklich wurde es still, Fandorins Stimme hallte. »Sie befinden sich bereits auf dem Territorium des G-g-… Gouvernements Moskau«, erläuterte der Beamte, während er den Zylinder abnahm und den Schnee von der Oberseite schüttelte. Dabei konnte man sehen, daß seine Haare pechschwarz, die Schläfen jedoch, seiner Jugend zum Trotz, vollkommen grau waren. »Hier beginnt s-sozusagen meine Jurisdiktion. Wir werden in K-k-… Klin mindestens z-zwei Stunden Aufenthalt haben, vor uns liegt eine Schneewehe auf den Gleisen, die erst beseitigt werden muß. Genug Zeit, sich zu verständigen und die K-kompetenzen zu klären. Zuvörderst aber muß ich Seiner Hohen Exzellenz meine Aufwartung sowie eine d-d-… dringende Mitteilung machen. Wo kann ich ablegen?«
»In der Wachstube, wenn ich bitten darf, dort sind Kleiderhaken.«
Von Seydlitz geleitete den Beamten zunächst in den vorderen Raum, wo die Zivilagenten Dienst taten, und von hier – nachdem Fandorin seinen Macintosh ausgezogen und den durchgeweichten Zylinder auf einen Stuhl geworfen hatte – in den dahinterliegenden.
»Michele, das ist Staatsrat Fandorin«, erklärte der Chef der Wachmannschaft dem Oberstleutnant. »Selbiger. Mit einer dringenden Mitteilung für den Herrn General.«
Der Angesprochene erhob sich.
»Modsalewski, Adjutant Seiner Hohen Exzellenz. Dürfte ich einen Blick auf Ihre Legitimation werfen?«
»Aber g-gewiß doch.« Der Beamte zog ein gefaltetes Papier aus der Tasche und reichte es dem Adjutanten.
»Es ist Fandorin«, beteuerte der Wachoffizier. »In der Depesche war die Beschreibung, ich erinnere mich bestens.«
Modsalewski prüfte gewissenhaft das Siegel und die Photographie, bevor er das Papier seinem Besitzer zurückgab.
»In Ordnung, Herr...