Akunin | Das Halsband des Leoparden | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 13, 358 Seiten

Reihe: Fandorin ermittelt

Akunin Das Halsband des Leoparden

Fandorin ermittelt. Kriminalerzählungen

E-Book, Deutsch, Band 13, 358 Seiten

Reihe: Fandorin ermittelt

ISBN: 978-3-8412-0166-9
Verlag: Aufbau Verlage GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Fandorin Goes West. Drei neue Fälle für Fandorin.

Mit Miss Marple alias Miss Palmer jagt er in England nach einem alten Lord und einem Diamantkollier. Mit Sherlock Holmes und Doktor Watson ermittelt er auf einem Schloss in Frankreich. Im Wilden Westen bringt er die raffiniertesten Betrüger zur Strecke.

'Boris Akunin ist der Meister der russischen Kriminalautoren. Ich habe jeden seiner Romane verschlungen.' Wladimir Kaminer.

'Ein absolut kultverdächtiger Historienheld.' Brigitte.



Boris Akunin ist das Pseudonym des Moskauer Philologen, Kritikers, Essayisten und Übersetzers Grigori Tschchartischwili (geboren 1956). 1998 veröffentlichte er seine ersten Kriminalromane, die ihn in kürzester Zeit zu einem der meistgelesenen Autoren in Russland machten. Heute genießt er in seiner Heimat geradezu legendäre Popularität. 2001 wurde er dort zum Schriftsteller des Jahres gekürt, seine Bücher wurden in 30 Sprachen übersetzt.

'Ich spiele leidenschaftlich gern. Früher habe ich Karten gespielt, dann strategische Computerspiele. Schließlich stellte sich heraus, dass Krimis schreiben noch viel spannender ist als Computerspiele. Meine ersten drei Krimis habe ich zur Entspannung geschrieben ... ' Akunin in einem Interview mit der Zeitschrift Ogonjok

Mehr Informationen zum Autor unter www.akunin.ru.

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Weitere Infos & Material


1;Inhalt;6
2;Das Halsband des Leoparden;8
3;Traumtal;50
4;Die Gefangene im Turm oder Der kurze, aber schöne Weg der drei Weisen;246


Das Halsband des Leoparden


Das Fußballspiel, über das Fandorin von englischen Bekannten so viel gehört hatte, erwies sich als grässlicher Unfug. Das war kein Sport, das war Klassenkampf: Ein Haufen Männer in roten Jerseys fällt über einen Haufen Männer in weißen Jerseys her, und das nur wegen eines aufgeblasenen Stücks Schweinsleder. Ein echter Sportwettkampf wie Boxen, Lawntennis oder Radrennen führte die Tradition des Ritterturniers fort, beim Fußball aber griffen zwei oder drei Männer ungeniert einen Einzigen an. Keine Spur von Ritterlichkeit! Und entsprechend waren auch die Zuschauer. Sie schrien, gestikulierten, sprangen von den Bänken. Als wären sie keine Engländer, sondern Papuas.

Zutiefst überzeugt, dass diese Vergnügung ohne Zukunft sei, verließ Fandorin das Stadion, ohne erfahren zu haben, ob die Lokalmannschaft in eine ominöse Westliga aufsteigen würde – wer immer dazugehören mochte.

In Wirklichkeit war nicht der Sportwettkampf schuld an der Verstimmung des geflohenen Moskauer Beamten, sondern die dumpfe Einsamkeit, die ihn inmitten der Menschenmenge erfasst hatte. Natürlich war er daran gewöhnt, für sich allein zu sein, doch hier kam eins zum anderen: Ein fremdes Land, eine fremde Stadt, der Zusammenbruch seines gesamten bisherigen Lebens, eine vollkommen ungewisse Zukunft und obendrein ein demütigender Geldmangel – ein Zustand, den Fandorin seit langem nicht mehr erlebt hatte.

Man legte sich eben nicht mit den Mächtigen an. Schon gar nicht, wenn man in Russland lebte. Noch vor zwei Monaten ein einflussreicher Mann, kurz vor der Ernennung zum Oberpolizeimeister von Moskau, war Fandorin nun ein Niemand. Mit fünfunddreißig gezwungen, ganz von vorn anzufangen.

Ein neues Leben begann man selbstredend am besten in der Neuen Welt. Wo sonst? Doch nach Amerika musste Fandorin erst einmal gelangen.

Vorerst saß der in Ungnade gefallene Staatrat in Bristol fest, von wo aus Schiffe der Dampfschifffahrtsgesellschaft »City Line« nach New York gingen, und wartete bereits die dritte Woche auf seinen japanischen Kammerdiener.

Fandorin hatte die alte russische Hauptstadt Hals über Kopf verlassen müssen, ohne die Antwort auf sein Entlassungsgesuch abzuwarten. Er stand also ohne Aussicht auf Gehalt und Prämien da und besaß keinerlei erspartes Kapital, lediglich ein kleines Haus in der Malaja Nikitskaja – das Masa nun für ihn verkaufen sollte. Der Erlös würde für ein paar Jahre reichen, und in dieser Zeit wollte sich Fandorin einen neuen Beruf aneignen. Zum Beispiel den eines Ingenieurs.

Ein anderer, leichterer Weg zu finanzieller Unabhängigkeit führte über Wiesbaden oder Monte Carlo. Mit seinem unglaublichen Glück bei Glücksspielen hätte Fandorin vermutlich nur einen Tag am Roulettetisch verbringen müssen, um der Sorge um das tägliche Brot für immer ledig zu sein. Doch das hätte er als unredlich empfunden. Er genierte sich ein wenig für seine rätselhafte Gabe, benutzte sie nur im äußersten Notfall und hatte keineswegs die Absicht, ein Gigolo Fortunas zu werden.

Da dem so war, durfte er höchstens eine halbe Zigarre pro Tag rauchen, musste mit der Pferdebahn fahren, und, statt im »Royal Hotel« zu wohnen, für ein Pfund, zwei Schillinge und sechs Pence die Woche ein kleines Zimmer mit Frühstück und Nachmittagstee mieten.

Allerdings in einem sehr anständigen Viertel – im Grunde dem besten der Stadt. Es lag auf einem Hügel und bestand ausschließlich aus architektonisch zwar etwas nüchternen, aber von herrlichen Gärten umgebenen Villen. Nach einer Woche hatte der ehemalige Staatsrat die Spaziergänge durch die gepflegten Parks und den Anblick der einzigen Sehenswürdigkeit am Ort – der hundert Sashen1 langen Hängebrücke über den Avon – gründlich satt.

Es war Anfang April. An den Bäumen glänzten die ersten Blätter, die Rasenflächen waren von unerträglich sattem Grün, doch Fandorin ging in all dieser Pracht mit einem gänzlich novembrigen Gesicht umher.

Der einzige Lichtblick für den aus seiner Heimat Vertriebenen war die allabendliche Teestunde mit seiner Wirtin Miss Palmer.

Dabei hatte er sie bei ihrer ersten Begegnung für vollkommen senil gehalten.

Eine verschrumpelte Greisin, zerbrechlich wie Porzellan, hatte ihm geöffnet. Als sie hörte, der Besucher sei auf ihre Anzeige in der »Western Daily Press« gekommen, hatte sie ihre Brille zurechtgerückt, die blassblauen Augen auf den großen Brünetten gerichtet und vorsichtig gefragt: »Spielen Sie Mundharmonika, Sir?«

Fandorin, bereits an englische Verschrobenheiten gewöhnt, schüttelte den Kopf. Daraufhin stellte die alte Dame die nächste Frage: »Aber Sie waren bestimmt bei der Verteidigung von Khartum dabei?«

Fandorin räusperte sich, um seinen Unmut zu unterdrücken (sie war schließlich eine Dame), und erwiderte beherrscht: »Wenn Sie das Zimmer nur an Mundharmonika spielende V-verteidiger von Khartum vermieten, hätten Sie das in Ihrer Anzeige erwähnen sollen.«

Er hatte doch gewusst, dass dieser Besuch sinnlos sein würde. Er war bereits zweimal abgewiesen worden, weil er Ausländer war, und zwar in schlichteren Häusern als diesem hier, das einen eigenen Park besaß und ein Wappen am schmiedeeisernen Tor: einen massigen Bären unter einer Grafenkrone. Den anstrengenden Aufstieg ins aristokratische Clifton hätte er sich sparen können.

»Herzlich willkommen, Sir«, sagte die Alte und ließ ihn eintreten. »Ich vermute, Sie kommen aus Russland? Das hätte ich gleich merken müssen. Offizier oder Militärspezialist?«

Fandorin, bislang überzeugt, akzentfrei Englisch zu sprechen, war enttäuscht.

»Haben Sie das an meiner Aussprache erkannt?«

»Nein, Sir. An Ihrer Haltung und Ihrem Gesichtsausdruck. Wissen Sie, ich war barmherzige Schwester bei Sewastopol und habe viele Ihrer Landsleute gesehen. Ein gefangener Hauptmann hat mir sogar Avancen gemacht. Sicherlich, weil keine anderen Frauen in der Nähe waren«, setzte sie bescheiden hinzu. »Jedenfalls blieb seine Werbung ohne Folgen.«

Die welken Wangen der Dame färbten sich bei der Erinnerung rosig, und dank des namenlosen Hauptmanns, der vor vierzig Jahren mit der Engländerin geflirtet hatte, kam Fandorin endlich zu einem Dach über dem Kopf.

»Ich bewohne im Haus von Graf Berkeley nur diesen kleinen Flügel, es gibt nicht einmal eine Abstellkammer. Aber Sie haben ja nicht viel Gepäck, oder?« Die Vermutung war erneut richtig.

Im Laufe der Zeit stellte sich heraus, dass Miss Palmer überhaupt sehr scharfsinnig und eine gute Beobachterin war. Auch für die seltsamen Fragen zu Beginn ihrer Bekanntschaft gab es eine Erklärung.

Sie hatte sich erst vor kurzem entschlossen, ein Zimmer zu vermieten, und mit den ersten beiden Mietern furchtbares Pech gehabt. Der eine hatte die ganze Zeit Mundharmonika gespielt, der andere unter Alpträumen gelitten – eine Folge seiner Erlebnisse während des Blutbades in Khartum 1885. Jede Nacht erschollen in der Wohnung markerschütternde Schreie: »Issa pfui!« und »Allah Akbar!« Aus Angst vor den Krummsäbeln sagte der Ärmste sich wieder und wieder von Jesus Christus los.

Jeden Abend von fünf bis sechs trank Miss Palmer mit ihrem Mieter Tee. Sie kochte ihn recht dünn und verdarb ihn obendrein mit Milch, und ihre selbstgebackenen Kekse zerkrümelten in den Händen und klebten an den Zähnen, doch die Gespräche mit der alten Dame waren ein Vergnügen – Fandorin war stets bestrebt, die Teestunde nicht zu verpassen.

Ihre eigene Geschichte erzählte die alte Dame ihm gleich in den ersten Tagen.

Ihr Schicksal war traurig und schön – leider keine Seltenheit bei wahrhaft edlen Frauen.

An ihre Eltern hatte Janet Palmer keine Erinnerung, ja, sie hatte sie im Grunde gar nicht gekannt. Ihr Vater, ein Dragoner-Leutnant, war bei Waterloo gefallen. Kurz zuvor hatte er geheiratet, seine Witwe war gerade achtzehn. Sie war guter Hoffnung, und die traurige Nachricht löste vorzeitige Wehen aus. Die unglückliche junge Mutter konnte nicht gerettet werden. Auch dem unter derart traurigen Umständen zur Welt gekommenen Mädchen prophezeite man einen baldigen Tod, doch die Kleine klammerte sich wie durch ein Wunder ans Leben. Oberst Graf Berkeley, der Regimentskommandeur ihres Vaters, nahm sich ihrer an und zog sie mit seinen eigenen Kindern zusammen groß. Janet war ihrem Wohltäter dankbar, und als er einen Schlaganfall erlitt, blieb sie bei dem Gelähmten, um ihm mit ihrer Gegenwart die letzten Tage zu verschönern – schließlich gab es so etwas wie eine Pflicht der Dankbarkeit.

Die »letzten Tage« zogen sich fast zwanzig Jahre hin. Der Mann, der Janet liebte, bewunderte ihre Selbstlosigkeit zunächst und versprach zu warten, so lange es nötig war, doch jede Geduld hat einmal ein Ende. Als Miss Palmer ihren alten Grafen endlich begraben und ihre Freiheit erlangt hatte, war es zu spät zum Heiraten.

Zwar hatte der alte Graf ihr einen Großteil seines Besitzes vererbt, doch seine leiblichen Kinder fochten das Testament gerichtlich an. Sie hätten den Prozess zwar kaum gewinnen können, denn der alte Graf hatte seinen letzten Willen tadellos niedergelegt, doch die frischgebackene Erbin verzichtete von sich aus auf den ihr zugefallenen Reichtum – sie hielt diese Auszeichnung für unverdient. Schließlich hatte sie nur getan, was sie tun musste.

Der älteste Sohn des Verstorbenen, der jetzige Graf Geoffrey Berkeley, dankte Miss Palmer überschwenglich und überließ ihr den Seitenflügel des Stammsitzes in Bristol zur lebenslangen Nutzung.

Seitdem waren über vierzig Jahre vergangen. Der Graf erlitt wie seinerzeit sein Vater einen Schlaganfall, verlor den Verstand und siechte in den...


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