Agathos | Deutschland 2089 - | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 240 Seiten

Agathos Deutschland 2089 -

17 Szenarien aus der Zukunft - Von Georg M. Oswald, Thomas Pletzinger, Françoise Cactus u.v.a.
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-641-06070-1
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

17 Szenarien aus der Zukunft - Von Georg M. Oswald, Thomas Pletzinger, Françoise Cactus u.v.a.

E-Book, Deutsch, 240 Seiten

ISBN: 978-3-641-06070-1
Verlag: btb
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Über unseren Alltag von übermorgenWie werden wir später mal leben, lieben, sterben? Werden die Vereinigten Obstgüter Brandenburgs die Herrschaft übernehmen, werden wir zu Zuschauern unseres Todes, oder zu Darstellern unserer eigenen Lebenssoap, wird es die Hauptwerke erotischer Literatur dann endlich auch als Zäpfchen geben? 17 der spannendsten deutschsprachigen Autoren malen sich in visionären, witzigen, abgedrehten, schrecklich-schönen Erzählungen unsere allernächste Zukunft aus. Und immer wieder stellt sich heraus, dass viele der Maßlosigkeiten und Überraschungen von morgen längst im Heute angelegt sind.Von Jörg Albrecht, Emma Braslavsky, Françoise Cactus, Heike Geissler, Annett Gröschner, Schorsch Kamerun, Thomas Kapielski, Steffen Kopetzky, Andreas Neumeister, Georg M. Oswald, Thomas Palzer, Thomas Pletzinger, Steffen Popp, Kathrin Röggla, Julia Zange, Raul Zelik, Felicia Zeller.
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FELICIA ZELLER
Welt ohne Kabel
Seit ich denken kann, arbeitet meine Freundin, die mich des Öfteren überredet, doch bitte an einem ihrer Experimente teilzunehmen, da sie von mir denkt, ich wäre ein sogenannter Durchlässiger SIE BENUTZEN DICH QUASI ALS TELEFON an ihrer Forschungsarbeit, in der sie Tonaufnahmen paranormaler Stimmen SIE WÄHLEN DEINEN KÖRPER STATT EINER NUMMER vergleicht. Ihre These ist, dass es sich dabei nicht nur um Stimmen aus dem Jenseits, Stimmen aus der Vergangenheit, sondern auch um Stimmen aus der Zukunft handeln könnte, und dass, wenn man diesen Bereich HALLO, BIN ICH HIER RICHTIG HIER? seriös erforschen würde NEIN, SIE HABEN SICH LEIDER VERWÄHLT man wichtige Erkenntnisse für unser gegenwärtiges Leben ziehen könne, mit anderen Worten: die Menschheit retten. Ein für viele hehr scheinendes Vorhaben. Für meine Freundin seit Jahren eine Selbstverständlichkeit.  
Seit sie schwanger ist, hat sie sich noch intensiver in ihre Forschungen gestürzt, fast so, als könne sie nach der Geburt nie wieder arbeiten. Vielleicht aber, denke ich, hofft sie, in irgendeiner Stimme die Stimme unseres noch ungeborenen Kindes zu hören. Es könnte doch mal durchrufen, ob es ihm gut geht, was es gerade in der Zukunft so macht ICH TELEFONIERE GERADE oder ob es behindert ist und wir doch lieber die pränatalen Untersuchungen durchführen sollten, die uns der Arzt empfiehlt, durch die wir eine Behinderung jedoch nicht verhindern, nur frühzeitig erkennen, zumindest vermuten können. Also wenn es behindert ist, dann kann es aufgrund eventuell schwerer Fehlbildungen des Kopfes vielleicht auch einfach gar nicht sprechen und auch nicht telefonieren, sage ich, da fängt sie an zu weinen. Einerseits, sage ich, willst du wissen, was in Zukunft los ist, andererseits willst du es aber überhaupt nicht wissen. Was willst du eigentlich!? Wenn ich das wüsste! Wenn ich alles wüsste, dann wollte ich vielleicht gar nicht mehr leben. Kinder auf die Welt setzen, in der täglich 35 000 Hektar Wald vernichtet werden, sage ich, ganz der stolze Vater. Wenn wir auch noch nicht viel über unseren Nachkömmling wissen, außer dass er sieben Millimeter groß und acht Wochen alt ist, so wissen wir doch, dass er überleben will, wie auch immer, denn sein Herz schlägt in rasend schnellem Tempo.  
Meine Freundin, die auch von sich vermutet, sie könne eine Durchlässige sein, und wenn sie träume, würden ihre Träume wie Filme auf einer alten Videokassette von anderen mit der Absicht überspielt, Botschaften zu übertragen, träumte, sie trüge einen Außerirdischen aus. Es war, ich weiß gar nicht, wie es war, auf einmal lag ein grünliches Wesen in ihrem Arm, es wandte sich ihr zu und begrüßte sie, erst förmlich (betonte, wie sehr es sich auf eine gemeinsame Zusammenarbeit freue), dann jedoch verlor es seine Scheu, zwickte sie in die ICH DARF DOCH? Brustwarze und begann nicht nur hemmungslos zu trinken, sondern ebenso unablässig zu reden. Mit einem leicht schnarrenden Tonfall kritisierte es Ärzte und Welt, erzählte von seiner Vergangenheit (den unvergesslichen Tagen im Mutterkuchen, dem schockierenden Moment seiner (wie der sprechende Säugling es nannte) »Abreise«, als er (zu sich kommend) mit dem Kopf nach unten hängend, vom Arzt an den Beinen wie ein (und dagegen verwehre er sich) brutalst geschüttelt worden wäre WIRD DIESER ARZT MIR NOCHMAL WEH TUN, WERDET IHR (ICH DARF EUCH DOCH ELTERN NENNEN) NETT ZU MIR SEIN. WARUM BIN ICH SO GRÜN? WARUM SPRICHT KEINES DER ANDEREN BABYS MIT MIR? WAS SOLL AUS MIR WERDEN / HIER AUF ERDEN? / Meine Freundin war hilflos (zumindest in ihrem Traum). Sie hielt das grünhäutige, intellektuell bereits voll entwickelte und (das Einzige, was es von ihr geerbt haben hätte können) ununterbrochen sprechende Baby auf ihrem Arm, hätte sie es wegwerfen sollen? (Wohin?) Ach, wie gerne wäre sie als schlichter Hormon- und Glücksbollen mit einem zarten, seinerseits hilflosen, hautfarbenen Wurm lasch und euphorisiert im Bett herumgelegen! Aber nein: Bereits ab seinem ersten Lebenstag, von seinem ersten Lebensmoment an, erörterte und hinterfragte dieser grüne Säugling alles und jeden, vor allem aber machte er sich (zu Recht) Sorgen um seine Zukunft WO WERDE ICH SCHLAFEN, WERDE ICH ETWAS LECKERES ZU ESSEN BEKOMMEN?! Meine Freundin brachte es (zumindest in ihrem Traum) nicht übers Herz, das seltsame Baby zu reklamieren (sie wusste auch nicht genau, wo), es eventuell gegen ein schreiendes rosafarbenes auszutauschen oder gar (denn sie verbrachten noch einige Tage im Krankenhaus) »normal« operieren zu lassen. Man könnte seine grüne Haut (der Chefarzt persönlich erschien (ihr) an ihrem Bette) durch eine GUT MAN GEBE ZU, MAN HABE BISHER NOCH KEINE GELEGENHEIT GEHABT, DIESEN EINGRIFF AUF SEINE WIRKSAMKEIT HIN ZU ÜBERPRÜFEN eine recht unkomplizierte Zellveränderung, durch die man das Grüne der Haut MAN SEHE SELTEN SÄUGLINGE VON SOLCH EXTREM ABWEICHENDER PIGMENTIERUNG in seinem weiteren Wachstum zurückdrängen, sein Gehirn durch einen weiteren, ebenfalls kleinen Eingriff rückentwickeln, allerdings bestehe die Gefahr bei einem solchen Eingriff und hierfür benötige er ihre Einwilligung (das Baby stützte seine Ellbogen auf ihre Brust und schüttelte ablehnend eine Hand, eine widerliche Geste für einen gerade mal vier Tage alten Säugling, er protestiere) NEIN, DAS WERDE ICH NICHT UNTERSCHREIBEN, MEINE EINWILLIGUNG ZU DIESER OP WERDE ICH da nahm sie den Außerirdischen (so wie er war) mit nach Hause und nannte ihn (nach langer gemeinsamer Überlegung und Diskussion schließlich) Boris. Eigentlich würde ich lieber Doris heißen! Warum bin ich kein Mädchen! Ruhe jetzt im Karton! Warum muss ich in einem Karton schlafen! Warum muss ich überhaupt schlafen! Und genau in diesem Moment, als Boris mit vorwurfsvollem Blick diese Frage aufwarf, erwachte meine Freundin, die, an ihrer Abhandlung »Über die Anpassung unterschiedlicher Zeitflüsse« arbeitend, eingeschlafen sein musste, große Müdigkeit überfiel sie in letzter Zeit mehrmals täglich an ihrem Computer sitzend oder auch draußen auf der Straße (neulich schlief sie ein, als ich mit ihr Kaffee trank in einem Café, das heißt, ich trank Kaffee, sie aß Fleisch und Kuchen, dann ein großes Stück Torte, in das ihr Kopf schließlich wegsackend hineinfiel) und so fand sie jetzt (erwachend) ihren Kopf auf der Tastatur und folgende Botschaft vor, die ihr Kopf auf die Tastatur fallend, sich dort im Kurzschlaf wälzend (inmitten ihres Textes) im geöffneten Schreibprogramm gebildet hatte: k5ttttttttttrgv tkblllz6hn yc
Sie druckte die Seite aus, las immer wieder laut:
k5ttttttttttrgv tkblllz6hn yc Modernes Orakel oder bloß blöder Der-Kopf-ist-mirhalt-auf-die-Tastatur-gefallen-wie-es-eben-vorkommt-dass-Köpfe-auf-Tastaturen-fallen-Zufall? Nicht einmal als origineller Namensvorschlag kam k5ttttttttttrgv tkblllz6hn yc in Frage. Auch laut gesprochen (und sie sprach es immer wieder) erinnerte es sie an nichts, weder an Vergangenes noch an Zukünftiges. Einzeilig, dreiwortig, ohne jeden Vokal, paar Zahlen darunter sie aß einen Pudding starrte auf die schwarzen Zeichen, auf das Papier, da erkannte sie, es war eine Aktennummer. War es etwa die Aktennummer, mit der sie das geschwätzige, grüne Baby hätte umtauschen können, hätte sie diese nur im Schlaf bereits gewusst?! Noch am selben Abend konnte sie die Buchstabenzahlenkombination k5ttttttttttrgv tkblllz6hn yc in- und auswendig. Sie rief mich an WO BIST DU und erzählte mir von ihrem Traum, in dem ich nicht vorgekommen war, dabei bin ich immer für dich da, sagte ich, sicher wäre mir etwas eingefallen, beruhigte ich sie und warf meinen Kopf auf mein Laptop. Einfach den Kopf auf die Computertastatur werfen, dann die Zeichen DIESE AKTENNUMMER KANN FÜR SIE IN ZUKUNFT NOCH EINMAL VON ENORMER WICHTIGKEIT SEIN, LERNEN SIE SIE AUSWENDIG UND VERNICHTEN SIE DIESE VERTRAULICHE INFORMATION!  
Um die unterschiedlichen Zeitflüsse einander anzugleichen, die in den Zeitflüssen enthaltenen Stimmen, die sich (auf den ersten Hör) oft gar nicht anhörten wie Stimmen (meist lauschten wir rauschigem Geknirspel, fiependem Rascheln, knattrigem Stapapeln) hatte meine Freundin in ihrem Arbeitszimmer einen riesigen Gerätepark installiert. Als ich eintrat, saß sie dort an ihrem Herzstück, ihrem (Haupt-)Computer wie der letzte Überlebende einer verlassenen NASA-Bodenstation.  
Die Texte der Zukunft, sagte sie, werden direkt im Gehirn (ins Gehirn) geschrieben, Papier oder Tastatur (oder Kopfabdruck auf Tastatur), vergiss es! Alles, was gedacht wird, wird automatisch aufgezeichnet und ist für die anderen (sofern freigestellt) automatisch lesbar und (sofern nicht kopiergeschützt) kopierbar. Sieht aus wie Gedankenübertragung, sagte sie, kommt aber erst später. Vorerst werden es intelligente Mikrocomputer sein, die etwas Ähnliches ermöglichen, die (gleich nach der Geburt) jedem menschlichen Körper eingebaut werden werden werden. Aber eines Tages, wenn der Lernprozess, der als langwieriger Dialog zwischen Gehirn und dort eingebautem Computer ununterbrochen stattfinden werden werden wird, abgeschlossen geschlossen sein werden wird, wird der Mensch endlich fähig sein, ohne (und sie zeigte mit einer genervten, aber auch stolzen Forschergeste auf die sie umgebenden Geräte) Geräte mit an welchem Ort, in welcher Zeit auch immer lebenden Menschenwesen und Wesenmenschen zu kommunizieren. Ob tot oder lebendig oder noch nicht lebendig. Sie legte die Hand auf ihren Bauch (schützend das...


Agathos, Katarina
Katarina Agathos (Hg.), geboren 1971 in München. Seit 1998 Lektorin, Autorin, Moderatorin, seit 2007 Dramaturgin, seit 2010 Chefdramaturgin in der Redaktion Hörspiel und Medienkunst im Bayerischen Rundfunk. Veröffentlichungen u.a.: Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften. Remix, bimediale Edition, (2004). Mitherausgeberin der CD-Reihe intermedium records; des Katalogs Intermedialität und offene Form (2006) und des BR-Radiobuchs Hörspiel. Autorengespräche und Porträts (2009).



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